Die Leute mit dem Sonnenstich
Es hieß: Natürlich! Sehen Sie es mir denn nicht an? Ich habe mir das Gesicht doch extra Ihretwegen nicht gewaschen.
»Och — Meinungsverschiedenheiten — eine kleine Verstimmung!«
»Durch wen und zwischen wem?«
Sie antwortete zögernd: »Zwischen meinem Vater und mir — und zwischen meinem Vater und Herrn Steffen — und auch zwischen Herrn Steffen und mir.«
»Bei drei Personen sind mehr Möglichkeiten nicht vorhanden«, bemerkte Michael sachlich, da Marion die Kombination noch nicht für erschöpft zu halten schien.
Vom Flußufer her ertönte ein heller Juchzer. Michael und Marion fuhren gleichzeitig mit den Köpfen in die Richtung, aus der der fröhliche Laut gekommen war. Drüben — am Startplatz des letzten Wettschwimmens zwischen Michael und Marion — sprang Barbara hinter Herrn Steffen ins Wasser, holte seinen kleinen Vorsprung, da sie wie ein Delphin schwamm, bald ein und versuchte, ihn mit lautem Kampfgeschrei und Wasserspritzen so weit in die Strömung hineinzudrängen, daß er das gemeinsame Ziel, Michaels einstigen Angelplatz unterhalb der Weide, verfehlen mußte.
Michael lief rot an und starrte den beiden nach, als litte er an einer Halluzination.
»Herr Steffen scheint mir aber nicht sehr verstimmt zu sein!« stellte er giftig fest.
»Dieses Fräulein Hollstein bemüht sich ja auch in geradezu
rührender Weise darum, ihn aufzuheitern!« antwortete Marion spitz.
»Was sagen Sie da?« fuhr er sie an.
Marion war zu sehr mit den eigenen Gedanken beschäftigt, um die Unfreundlichkeit in Michaels Tonfall wahrzunehmen. Also das war Herr Steffen mit der heftigen, heimlichen Neigung für sie! Das war der Mann, den ihr Vater ihr zum Gatten bestimmt hatte! O bitte, kein Gedanke daran, daß sie etwa auf Fräulein Barbara Hollstein eifersüchtig war! Ach, du lieber Himmel, das fehlte gerade noch! Im Gegenteil, sie gönnte Barbara diesen Herrn von ganzem Herzen, jawohl, von ganzem Herzen! Und es war ihr natürlich furchtbar gleichgültig, was Herr Steffen tat und ob er sich verliebte und auf wen sich seine Bemühungen richteten. Aber daß er es in diesem Augenblick tat und ihr das Schauspiel seiner Balztänze bot, das war eine Herausforderung! Das war eine Beleidigung und eine unerhörte Kränkung ihrer weiblichen Eitelkeit, die von einem abgewiesenen Bewerber zumindest einen Selbstmordversuch erwartete.
»Man muß anscheinend ein Mann sein«, sagte sie mit einem rachsüchtigen Blick auf die vergnügten Schwimmer, »um nicht zu sehen, daß Fräulein Hollstein auf Herrn Steffen einen ebenso großen Eindruck macht wie er auf sie. Reizend, die beiden! Und wie rasch sie sich gefunden haben, nicht wahr? Ich möchte fast wetten, daß wir die Vermählungsanzeige zu Weihnachten in der Zeitung lesen werden. Unterm Tannenbaum... Wenigstens A dürfte das dem Geschmack von Fräulein Hollstein entsprechen.« I
Und da Michael diese Meinung nicht zu teilen schien, fuhr $ Marion fort: »Oder glauben Sie nicht? Es gehört übrigens nicht sehr viel Geschick dazu, Herrn Steffen zu erobern. Und wer ist f dieses Fräulein Hollstein schon? Büroangestellte, nicht wahr? Ein ¡ kleines Gehalt, ein beschränktes Leben! Sie wäre ja töricht, wenn | sie die große Chance nicht wahrnehmen würde. Und Herr Steffen 1 ist gewiß das Ideal eines Ehemanns für die Vorstellungswelt J einer kleinen Büroangestellten, wie?«
Michael war zu betäubt, um zu antworten.
Und das war ein Glück für Marion. Sie war sozusagen über eine Schneedecke gelaufen, ohne zu ahnen, daß dieser Schnee die fingerdicke Eiskruste eines unheimlich tiefen Gewässers bedeckte. —
Von da an war die Insel in drei Reiche eingeteilt, die durch die Stacheldrahtverhaue von Eifersucht und eisiger Verachtung voneinander abgetrennt waren. Jede Partei lebte in hochmütiger Nichtbeachtung der anderen für sich allein. Barbara und Thomas Steffen hielten den östlichen Teil der Insel mitsamt der Hütte besetzt. Herr Keyser führte in der Mitte das freudlose Dasein eines bedauernswerten Einsiedlerkrebses. Und Marion und Michael hausten in den strengen Grenzen des westlichen Gestades. Dabei taten aber alle gerade so, als ob diese >Splendid isolation< — die hochmütige Abkapselung — nicht das Ergebnis ihres schlechten Gewissens voreinander sei, sondern der behaglichen Ausspannung diene.
Barbara und Steffen hatten von ihrem sportlichen Wettkampf einen gesunden Hunger mitgebracht. Der Indianerkamin begann zu rauchen, und von der Hütte her trug der Wind
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