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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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appetitliche Düfte über die Insel hin. Barbara kochte — zum erstenmal, nachdem Michael sie tagelang mit seinen Fischen vergewaltigt hatte — Spaghetti mit Tomatentunke. Und Thomas Steffen, der acht Tage lang von Marion mit Konservenkost traktiert worden war, lobte die Mahlzeit mit weithin schallender Stimme. Es gab sogar einen Salat zum Essen, bereitet aus den zartesten Blättern jungen Löwenzahns, den feinen Trieben des hier üppig wuchernden Sauerampfers und einer Handvoll Wasserkresse.
    Herr Keyser, der nur sehr bescheiden gefrühstückt hatte, spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. Ach, er war drauf und dran, sein Schilfversteck zu verlassen und Steffen die Versöhnungshand zu reichen — wenn diese milde Stimmung nur nicht gerade in einem Augenblick an seiner Seele gerüttelt hätte, als drüben der Kamin zu rauchen begann und die würzigen Düfte herüberzogen. Wie falsch konnte das ausgedeutet werden! Nein, man mußte sich beherrschen und die Versöhnungsfeier auf den Abend verschieben.
    Zu seiner Bestürzung aber mußte Herr Keyser feststellen, daß Steffen nicht die leiseste Absicht zu haben schien, diplomatische Beziehungen aufzunehmen, denn kaum hatten Barbara und Steffen ihr Mahl beendet, so begannen sie auch schon, die Hütte zu räumen und ihre Zelte aufzubauen. Und damit war für Herrn Keyser jede Möglichkeit verbaut, mit Steffen »zufällig« an einem neutralen Platz zusammenzutreffen.
    Herrn Keyser quälte der Hunger. Dem Stande der Sonne nach mußte es schon später Nachmittag sein, denn zu allem Unglück hatte seine Uhr das Bad nicht vertragen und war stehengeblieben. Die Hütte war jetzt frei. Offenbar wollten Barbara und Steffen, die ihre Zelte in der Nähe der Boote aufgeschlagen hatten, mit ihrem ostentativen Auszug den anderen Insulanern zu verstehen geben, daß der Herd und die vorhandenen Lebensmittelvorräte als neutrale Werte durch schweigende Übereinkunft stundenweise allen Parteien zur Verfügung stünden.
    Nur sein Trotz und die Furcht, gefräßig zu erscheinen, hinderten Herrn Keyser noch daran, seinerseits augenblicklich von den Urrechten der Menschheit auf Feuer und Nahrung Gebrauch zu machen. Eine tollkühne Phantasie gaukelte ihm sogar vor, er würde in der Hütte eine Portion jenes Gerichts finden, dessen Duft vor kurzem seine Nase gekitzelt und ihn so friedfertig gestimmt hatte.
    Er hätte sich in dieser Annahme sehr getäuscht! Außerdem aber kamen Marion und Michael ihm zuvor, und er hatte für eine weitere Stunde das Nachsehen. Seine Befürchtung, Marion könnte ihn einfach dadurch, daß sie die Hütte nicht mehr verließ, zu einem unrühmlichen Gesuch um Aufnahme zwingen, erwies sich als unbegründet, denn auch sie und Michael erkannten die schweigend vorgeschlagene Übereinkunft an, an den Vorräten alle teilhaben zu lassen.

    Die Entdeckung, daß Barbara es tatsächlich fertigbrachte, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, hatte Michael so breitgeschlagen, daß Marion es ohne Gefahr für Leib und Leben wagen durfte, Barbaras vortreffliche Kochkünste im Hinblick auf ein friedliches Eheleben mit Herrn Thomas Steffen zu ironisieren.
    Den Flirt mit Steffen als Vergeltungsmaßnahme für seine dummen und schon längst bereuten Worte der letzten Zwiesprache mit Barbara hätte Michael ihr niemals nachgetragen. Das war nur recht und billig. Daß sie aber Steffen Spaghetti gekocht hatte, sein Leibgericht — wenn die verdammten Fische nicht dazwischengekommen wären —, das erschütterte ihn in seinem Glauben, Barbara treibe im Grunde doch nur ein Spiel mit ihm, wie etwa >Sauersehen<, wo es letztlich darauf ankommt, wer trotziger ist und es länger aushält, nicht zu blinzeln. Wenn er heute vormittag noch zu der Einsicht bereit gewesen war, wenigstens vor sich selber, daß er sich Barbara gegenüber schauderhaft betragen hatte und die alleinige Schuld an allen diesen blöden Verwicklungen trug, dann bekam er jetzt nach dem Gesetz von Stoß und Gegenstoß neuen Auftrieb, sich freizusprechen und alle Schuld auf Barbara abzuwälzen.
    Vielleicht — so sinnierte er — war diese Insel für sein Verhältnis zu Barbara das Prüffeld, auf dem die letzten Entscheidungen fielen. Wie war das denn gewesen? Man lebte jahrelang nebeneinander und glaubte, sich daraufhin, daß man eine Menge gleicher Interessen, Neigungen und Abneigungen hatte, zu kennen und zueinander zu gehören. Und was geschah? Es geschah das, wozu man nicht unbedingt eine einsame Insel, sondern nur vier Wände und

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