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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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auf. Er war am Ende seiner Geduld. Was verstand dieses junge Ding schon vom Geschäft? Was wußte sie davon, wie sehr ein Mann mit seinem Werk verwachsen kann? Was ahnte sie von der Hingabe eines Mannes an sein Werk? Was verstand sie eigentlich von dieser großen Leidenschaft zu einer Lebensaufgabe? Von der Sorge um die Zukunft eines Unternehmens, das er vom Vater und Großvater übernommen hatte, nicht als Pfründe, sondern als Verpflichtung.
    Er sagte seiner Tochter nicht nur, daß sie noch viel zu jung und grün sei, um Männerdinge beurteilen zu können, daß sie eigennützig, verwöhnt, verzogen und launenhaft sei und daß Thomas Steffen mit allen seinen Äußerungen über sie und auch über ihn selber durchaus recht habe! Er erklärte ihr sogar rundheraus, daß sie sich beileibe nicht einbilden solle, bereits jenem Alter entwachsen zu sein, in dem strenge Maßnahmen nicht doch noch die Versäumnisse in ihrer Erziehung nachholen könnten! Ja, der kleine Alte Herr war empört genug, Marion gleichsam zur Warnung daran zu erinnern, daß er von seinem Vater, ihrem guten Großvater Johann Jacob Keyser, noch im Alter von vierundzwanzig Jahren anläßlich einer Respektlosigkeit eine geklebt bekommen habe, die nicht von Pappe und, wie er jetzt gestehen müsse, von äußerst heilsamer und nachhaltiger Wirkung gewesen sei!
    Marion wurde sehr blaß. Herr Keyser glaubte ihre Zähne knirschen zu hören. Jedenfalls stand sie auf und öffnete wortlos die Tür.
    Und der kleine Herr Keyser, dem es beim Anblick seiner ihn um Haupteslänge überragenden sportgestählten Tochter doch nicht ratsam erschien, es zu einer Wiederholung der soeben erwähnten Familienszene kommen zu lassen, zog es vor, das Feld fluchtartig zu räumen. Er war fest dazu entschlossen, mit Thomas Steffen, den er soeben so glänzend gerechtfertigt hatte, eine Friedenszigarre zu rauchen und ihn wieder auf den alten Platz in seinem Herzen aufrücken zu lassen.
    Leider aber war Thomas Steffen weder so allein noch so geknickt, wie Herr Keyser ihn anzutreffen erwartet hatte. Er mußte vielmehr zu seiner größten Bestürzung feststellen, daß der junge Steffen sich in der letzten Stunde völlig gehäutet zu haben schien. Thomas Steffen vergnügte sich in der Gesellschaft dieses Fräulein Hollstein, war munter und kreuzfidel und beachtete seinen Seniorpartner überhaupt nicht.
    Donnerwetter, das hieß aber schnell getröstet! Nein, man kannte sich nicht mehr aus in dieser Welt. Herr Keyser hatte doch seine Augen im Kopf, nicht wahr? Und was er dort unter der Weide sah — tandaradei! —, war offensichtlicher Flirt! Jeden Augenblick konnte Marion die Hütte verlassen. Und dann? — Herr Keyser hustete diskret. Er hustete einmal und dann noch einmal kräftiger. Aber der junge Steffen hielt es nicht einmal für nötig, auch nur aufzublicken.
    Und Herrn Keyser beschlichen böse Ahnungen.
    Drüben lag dieser verdammte Luftkutscher und Petroleumfritze in der Sonne. Weshalb war der Kerl nicht längst in Persien? Falls er nicht überhaupt ein Hochstapler war und ihnen nur etwas vorgeschwindelt hatte, um sich interessant zu machen! Und das mußte ihm der Neid lassen, er sah gut aus, dieser Bursche. Genau der Typ, auf den die Weiber flogen.
    Wenn Marion jetzt Steffen sah, den reizenden, anständigen, soliden, charaktervollen Steffen, der sich aus einem überzarten Toggenburg unversehens in einen wurffreudigen Delorges verwandelt hatte und der mit dem erstbesten weiblichen Wesen anbandelte, das ihm über den Weg lief, dann war es fast unvermeidlich, daß Marion sich schon aus Trotz in den Ölbohrer verliebte.
    Und Herr Keyser wählte im Schilf des linken Inselufers einen Platz, um seinen kummervollen Gedanken nachzuhängen. Nicht lange darauf rauschte Marion an ihm wie an einem Fremden vorüber und gesellte sich — oh ; wie rasch bestätigte sich seine unheilvolle Ahnung! — zu Michael.
    Dem war das Drama, das sich in seiner unmittelbaren Nähe abgespielt hatte, völlig entgangen. Und es dauerte eine ganze Weile, bis er in Marions Gesicht die Spuren der vorausgegangenen Ereignisse bemerkte, salzige Kristalle, die ein Tränenstrom auf ihren Wangen hinterlassen hatte. Dann allerdings war er um so zarter und teilnahmsvoller. Wenn Barbara in der Nähe gewesen wäre, hätte er in diesem Augenblick sicherlich den Arm tröstend auf Marions Schulter gelegt. Aber Barbara war leider nicht in der Nähe.
    »Haben Sie Ärger gehabt, Fräulein Marion?«
    Sie schüttelte tapfer den Kopf.

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