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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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eine abgeschlossene Tür brauchte: sobald man allein aufeinander angewiesen war, kam es prompt zum ersten Krach. Vielleicht war es nötig, sehr viele Menschen und vor allem mehr Frauen als nur eine kennenzulernen, um die passende Gefährtin zu finden.
    Zum erstenmal sah er Marion mit neuen Augen an. Merkwürdigerweise interessierte es ihn zunächst, was sie ihm wohl als Mittagsmahl vorsetzen werde. Ihn gelüstete es nach einem Spaghettigericht, egal, ob sie ihm nun die Fadennudeln mit Butter, mit Tomatensoße oder mit eingeschnittenem Schinken servieren wollte. Aber Marion verstand es sehr geschickt, ihm diesen Wunsch auszureden, da sie sich restlos zu blamieren fürchtete. Schließlich einigten sie sich auf Eier und Büchsenwürstchen. Und Michael mußte zuletzt glauben, er sei selbst schuld daran, daß die Würstchen geplatzt und die Eier weder weich noch hart waren.
    Wie ihre Vorgänger zogen auch Marion und Michael sofort nach dem Essen aus. Und um den Alten Herrn seine ruchlosen Absichten in vollem Maße abbüßen zu lassen, richtete Marion ihr Zelt mit Michaels Hilfe vom an der Inselspitze auf. Damit war die völlige Isolierung von Herrn Keyser vollzogen. Und Marion war bei der Arbeit des Zeltaufrichtens herzlos genug, laut zu beteuern, wie reizend sie diese Insel fände, was für ein prächtiger Kamerad Michael sei und daß er sie durch seine Freundschaft und seine Hilfsbereitschaft geradezu herausfordere, sich für eine Woche bei ihm einzuladen.
    Herr Keyser hörte es mit verzagtem Herzen. Das also war die Strafe für seine tückischen und selbstsüchtigen Pläne. Was hatte er es auch nötig gehabt, Schicksal spielen zu wollen? Marion hatte viel zu helle Augen und einen viel zu wachen Verstand, als daß sie ihm eines Tages nicht doch hinter die Schliche gekommen wäre. Was ihm jetzt geschah, war nichts als die gerechte Vergeltung für sein — wie er sich jetzt eingestand — geradezu unmoralisches Vorhaben, Marion in einer Herzensangelegenheit zu übertölpeln, die nur sie allein zu entscheiden hatte.
    Diese schönen Einsichten und bitteren Selbstvorwürfe vermochten jedoch nicht das Knurren seines Magens zu übertönen. Nur satte Leute können es sich leisten, mit den Händen im Schoß zu spintisieren. Hunger war stets ein Feind des Trübsalblasens und hat von einem rechten Mann noch immer einen rechten Entschluß verlangt. Herr Keyser erhob sich also. Nicht allzu rasch, um den anderen keinen billigen Triumph zu verschaffen. Er gähnte herzhaft und reckte, wie nach einem ausgiebigen und erfrischenden Nachmittagsschläfchen, die Arme, pfiff ein paar Takte aus der >Lustigen Witwe< und ging, als ob er die feindselige Atmosphäre ringsum überhaupt nicht verspüre, heiteren Gesichts und munteren Schrittes fürbaß zur Hütte.
    Seine stille Hoffnung, man könnte anständig gegen einen älteren Herrn gehandelt und ihm etwas fertig Zubereitetes zurückgelassen haben, war leider nur ein schöner Traum. Und so verschwand die Heiterkeit rasch aus seinen Zügen. Er trank mißvergnügt und gierig zwei rohe Eier aus, öffnete die letzte Büchse Ochsenmaulsalat aus Marions Vorrat und tunkte steinaltes Brot in die säuerliche Zwiebelbrühe.
    Aber was war dieser frugale Imbiß schon für den Hunger eines Mannes von beinahe zwei Zentnern Gewicht? Ein wahres Nichts, und Herr Keyser sah sich nach mehr um.
    Marion hatte die mitgebrachten Lebensmittel auf dem leeren Bücherbrett aufgestapelt. Sie bestanden aus zwei hohen Büchsen mit je vier Bockwürsten, einer Dose Erdbeermarmelade, zwei Dosen Grapefruitsaft, einem Päckchen Knäckebrot, einer Büchse Gulasch, einem halben Laib Brot, ein paar Eiern, einem Stück Butter sowie zwei Tüten mit Pfeffer und Salz. Zum Glück brauchte er sich nicht mit Feueranmachen zu plagen, denn im Herd war noch etwas Glut unter der Asche, und trockenes Holz war auch genug vorhanden. So legte er denn ein wenig Reisig nach, öffnete eine Dose mit Bockwürsten und stellte sie mitten in die Flamme.
    Das Stehen am Herd verursachte ihm einen rechtschaffenen Kochfrauendurst. Was hätte er nicht in diesem Augenblick für eine Flasche Pilsener gegeben! So bohrte er in Ermangelung eines Männertrankes eine Dose mit Grapefruitsaft an und ließ sich das süßsaure Gesöff in die Kehle rinnen. Unterdessen waren die Würste warm geworden. Vier daumendicke Würstchen ißt ein kräftiger Mann leicht als Vorspeise auf — und Herr Keyser, der mit einer fünfpfündigen Ente ohne Schwierigkeiten fertig wurde,

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