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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Ich will jetzt fahren!« sagte sie, holte tief Luft und öffnete den Mund.
    Entsetzlicher Augenblick! Michael, Marion der Alte Herr stürzen herbei, durch einen Schrei geweckt. Er in Michaels Anzug! Die Boote im Wasser.
    »Halt! Schweigen Sie! Ich bitte Sie um alles in der Welt! Natürlich lasse ich Sie nicht im Stich! Ich komme ja schon! Selbstverständlich verlasse ich die Insel mit Ihnen zusammen!«
    Nur keinen Skandal, mochte sonst kommen, was kommen sollte!
    »Dann in die Boote!«
    Barbara wartete ab, bis Steffen in Michaels Einer saß. Sie stieß das Boot mit dem Fuß kräftig ab, schwang sich in ihren Kajak und drückte sich mit dem Ruderblatt vom Ufer ab und in den Strom hinein.
    Der Morgenwind fegte die Dunstschleier von der Wasseroberfläche und klirrte in der Weide. Im Osten rötete sich das Gewölk. Ein Wasservogel schwirrte mit klatschenden Flügelschlägen auf, und kleine Fische sprangen zum Zeichen, daß es einen heißen Tag geben würde, über den stahlgrauen Spiegel.
    Leb wohl, Michael! Frohe Ferien und viel Vergnügen weiterhin! Ach, es ist jammerschade, daß ich nicht dabeisein und dein Gesicht sehen kann, wenn du entdeckst, daß ich dir in Herrenbegleitung ausgerissen bin.
    Sie setzte Steffen nach, der hinter schleifenden Nebelfahnen dem grauenden Tag mit wenig hoffnungsfrohem Gesicht und müdem Paddelschlag entgegentrudelte.
    »Feiner Morgen heute! Feine Fahrt!« rief Barbara ihm zu.
    Er antwortete mit einem säuerlichen, zahnkranken Lächeln und hielt sich in dem Tempo, in dem sie das Paddel kreisen ließ, an ihrer Seite. Was sollte er auch sonst tun? Die Insel war schon weit hinter Büschen und Krümmungen des Flußlaufes versunken. Noch winkte über die flachen Uferdämme die höchste Spitze der Weide herüber. Aber war es überhaupt noch die Inselweide, die da aus dem Wasser herauswuchs, mit ihren alten Narben von Hochwassern, Sturm und sägenden Eisschollen?
    Feiner Morgen. Im gestohlenen Anzug und im gestohlenen Boot. Ach, welchen neuen unangenehmen Dingen führte ihn dieser junge Tag entgegen? Und wie sollte dieses Abenteuer enden?
    Aus der Tiefe des Stromes summte das leise Knirschen des Geschiebes herauf; die winzigen Steinchen, die der Fluß mitführte, kratzten zart über die Bootshaut. Die schwarzen Entfernungstafeln zogen links vorüber, und zu beiden Seiten des Stromes sprangen die festgefügten glatten Steindämme aus dem Wasser und fingen den Blick. Dann wieder quoll die weite Buschlandschaft an den Fluß heran, mit schmalen Durchsichten auf weites, tauglitzerndes Überschwemmungsland, und linker Hand stiegen blühende Kartoffeläcker und heranreifendes Korn sanft hügelan. Eine einsame kleine Kirche, quadergefügt und bäuerlich derb, zog vorüber. Ein schläfriges Wiehern kam von irgendwoher. Die erste Brücke spannte sich von Ufer zu Ufer. Für alle Fälle steuerten sie das Mitteljoch an. Widerwellen schäumten kurz auf und warfen ihnen ein paar erfrischende Spritzer ins Gesicht. Sie schossen durch und kamen wieder in ruhiges Fahrwasser. Ein Fährseil zwischen zwei wuchtigen Stahlmasten zog über ihnen eine weiche Kurve in den rötlichen Himmel. Aus dem Kamin des winzigen Fergenhäuschens stieg eine Rauchsäule kerzengerade empor. Ein schwarzes Altwasser zweigte ab mit klingelnden Enten darauf. Vorbei — vorbei — immer neue Bilder.
    Und hinter ihnen, schon unendlich weit, lagen Herr Keyser und seine Tochter Marion ahnungslos im besten Morgenschlummer. Wer weiß, wie noch alles gekommen wäre. Die Blindschleiche oder Ringelnatter im Schlafsack. Es war doch so vielversprechend gewesen. Und dann die verdammte Insel. Und nun die Flucht. Wovor eigentlich? Und wozu? Im gestohlenen Anzug und im gestohlenen Boot. Und dann dieses merkwürdige Fräulein Hollstein. Barbara — hm, seltsames Geschöpf! Was hatte sie eigentlich mit ihm vor? Was waren ihre Absichten? Flüchtete sie nun eigentlich mit ihm oder etwa seinetwegen? Oder gar er ihretwegen? Was für eine rätselhafte Geschichte! Und in welche Gefahren sich dieses Mädchen seinetwegen begeben hatte! Dem schlafenden Prack Hemd, Hose, Jacke und Schuhe aus dem Zelt wegzustehlen! Warum hatte sie das getan? War das ein Grund für ihn, sich ihr stärker verpflichtet zu fühlen? Hatte sie etwa die arabische Poesie von gestern abend für bindende Zukunftsversprechungen gehalten?
    Trotz der schneidenden Morgenkälte standen Thomas Steffen bei diesem Gedanken plötzlich dicke Schweißtropfen auf der Stirn. Ohne daran zu denken, daß es ein

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