Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
klebrigen Angstschweiß auf der Haut, dachte an Marion, schalt sich einen flatterhaften, treulosen Schurken, spürte Rausch und Katzenjammer gleichzeitig und wäre, wenn er nur ein Röhrchen Veronal bei sich gehabt hätte, mit zwei oder sogar drei Tabletten in einen tiefen, tiefen Schlaf entflohen.
    Und plötzlich stand ihm das Herz still. Jemand strich draußen mit der flachen Hand über die Zeltwand hin. Er hörte mit heißem Schrecken das reibende Geräusch und erstarrte.
    »Sind Sie noch wach?« flüsterte eine Stimme, und eine Hand schob sich durch die Zeltöffnung.
    Sollte er sich schlafend stellen? Sollte er zu schnarchen beginnen und keine Antwort geben? Nein, der Teufelskerl, der Schwerenöter, schlug den andern, den braven und soliden Steffen mit einem kurzen Kinnhaken nieder. »Ja, Barbara! Ja, Fräulein Holls-tein!« flüsterte der Casanova aus ihm, wenn auch aus abgeschnürter Kehle.
    »Jetzt ist es soweit!« raunte Barbara ihm zu.
    »Ja, Fräulein Holls-tein«, stammelte er und rückte auf seiner schmalen Luftmatratze zur Seite.
    »Pst! Nicht so laut!« warnte sie. »Ich habe alles beieinander«, sie schob ihm ein großes Bündel ins Zelt hinein, »Hemd, Jacke, Hose und Schuhe! Ziehen Sie sich rasch an! Strümpfe habe ich in der Eile leider nicht erwischen können, aber es wird auch so genügen.«
    »Um Himmels willen«, stotterte er wie vor den Kopf geschlagen, »was soll ich mit den Sachen? Was haben Sie eigentlich mit mir vor?«
    »Wir verlassen die Insel! Was dachten Sie sonst?«
    »Nichts«, sagte er abgewürgt und atmete doch leichter, »was sollte ich wohl gedacht haben? Aber woher haben Sie diesen Anzug, Fräulein Holls-tein?«
    »Ziehen Sie sich endlich an, und fragen Sie nicht soviel! Von selbst angeflogen kommen die Sachen natürlich nicht!«
    »Der Anzug von Herrn Prack!« stieß er hervor.
    »Der einzige auf der Insel«, bemerkte sie kaltblütig und ungeduldig. »Beeilen Sie sich, Herr Steffen! Der Morgen kann nicht mehr fern sein. Und leise, leise! Sonst wird’s gefährlich.«
    Ober der Weide verfärbte sich der Himmel. Seine samtene Tiefe zerschmolz in bleiernes Grau, und die Sterne verblühten. Über das nebelverhangene Ried rauschten unsichtbare Vogelgeschwader zu ihren Standplätzen. Und ein leises, kühles Wehen riß leere Straßen in die weißen Schleier über dem Wasser.
    »Sind Sie endlich fertig?« zischte Barbara.
    Thomas Steffen gab keine Antwort, aber er kam heran und trug die Schuhe, die ihm zwei Nummern zu groß waren, in der Hand. Er zog beim Gehen die Knie empor wie ein Mann, der sich bemüht, geräuschlos über knarrende Treppenstufen zu steigen. Die gänzlich unerwartete Lösung eines Abenteuers, dem er — ehrlich gesagt — doch mit mehr Bangen als Bereitschaft entgegengesehen hatte, hatte ihn derart überrumpelt, daß er wie unter hypnotischem Zwang und fast erleichtert in die fremden Kleidungsstücke geschlüpft war.
    Erst als er vor den Faltbooten stand — vor Barbaras und Michaels Einem — und Barbara behilflich war, die Boote geräuschlos ins Wasser zu setzen, drang das Bewußtsein wieder über die Schwelle seines betäubten Verstandes.
    »Das ist doch das Boot von Herrn Prack?« fragte er betroffen, als Barbara ihm die Schuhe aus der Hand nahm und sie unter der Spritzdecke verstaute.
    »Gewiß«, antwortete sie ruhig, »das ist das Boot von Herrn Prack. Was stört Sie denn dabei? Oder wollten Sie Ingolstadt etwa schwimmend erreichen?«
    Ihre Gelassenheit entsetzte ihn. War dieses Fräulein Hollstein so naiv oder so gewissenlos, daß sie einen so eklatanten Verstoß gegen das siebente Gebot und die Satzungen des Strafrechts mit dieser zynischen Frage beantworten konnte? Ihm verschlug es einfach die Sprache. »Zuerst sein Anzug — und jetzt noch sein Boot? Das ist Raub! Das ist Diebs-tahl, Fräulein Holls-tein!«
    »Brechen Sie sich nur keine Verzierungen ab!« zischte Barbara böse. »Sind Sie ein Mannsbild oder sind Sie keines?«
    Es war eine Frage, die Herr Steffen nicht gern hörte.
    »Allerdings bin ich ein Mann, aber...«
    »Jetzt kein Aber!« unterbrach Barbara ihn resolut. »Und überhaupt, was gebrauchen Sie für häßliche Wörter! Raub! Diebstahl! Unsinn! Wir borgen Boot und Anzug von Herrn Prack für kurze Zeit aus. Das ist alles. Sie können ihm beides heute noch von Ingolstadt aus wieder zustellen lassen, zu Wasser oder zu Land.«
    Steffen bat verwirrt um Entschuldigung. Er hatte an die Möglichkeit einer Rücksendung der Sachen wahrhaftig nicht

Weitere Kostenlose Bücher