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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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jetzt noch den Trumpf ausspielen, ihn als Feigling und Dieb hinzustellen!
    Für einen Augenblick kehrte sich Thomas Steffens ganzer Zorn gegen Barbara. Aber konnte er sie wirklich für sein Versagen verantwortlich machen, auch wenn sie es gewesen war, die ihn zu dieser folgenschweren Flucht verleitet hatte? Trotz seiner grimmigen Eifersucht und Reue, Marion in einem Augenblick im Stich gelassen zu haben, in dem alles darauf ankam, auszuharren und zu kämpfen, besaß Thomas Steffen die nicht geringe Seelengröße, die Schuld bei sich selber zu suchen: in seinem Kleinmut, in seiner Feigheit, in seiner Treulosigkeit vor Marion und vor seinen eigenen Gefühlen für sie. Anstatt ihr die Treue zu halten, war er ein zweifelhaftes Abenteuer eingegangen.
    Die Uhr einer hinter Kastanien versteckten Dorfkirche sandte vier hallende Schläge herüber. Im Osten glühte der Himmel rosig auf. In wenigen Minuten mußte der purpurfarbene Sonnenball über dem Horizont erscheinen. Thomas Steffen ließ das Kinn auf die Brust sinken.

    Michael Prack wachte wenig erfrischt auf. Da er seit acht Tagen gewohnt war, mit den Hühnern das Lager aufzusuchen, rächte sich nun das gestrige Lange-Aufbleiben mit einer gewissen Katerstimmung. Er fühlte sich wie vermöbelt. Der verflossene Tag hatte ihn auch geistig überanstrengt. Die Komödie, die er aufgeführt hatte, war ein paar Akte zu lang geworden, besonders weil er gezwungen gewesen war, Verfasser, Dramaturg und Spielleiter in einer Person und zu gleicher Zeit zu sein. Es war dabei auch noch etwas Zauberlehrlingsstimmung bei diesem unfrohen Erwachen. Erstens einmal hatte er sich das Spiel amüsanter vorgestellt, und zweitens spürte er, daß ihm die Zügel der Regie aus den Händen geglitten waren und daß die Personen der Komödie ein gefährliches Eigenleben zu führen begannen. Er bereute es jetzt, und er hatte es schon gestern abend bedauert, nicht auf Barbara gehört und rechtzeitig Schluß gemacht zu haben.
    Wie sollte das nun weitergehen? Er war schließlich auf dieser Insel gelandet, um sich zu erholen und nicht, um seine mittelmäßigen dramaturgischen Talente bis zum Kopfschmerz darzubieten. Der nicht geringe Schrecken, als Marion sich bei ihm für die nächsten Tage eingeladen hatte, zitterte in ihm noch nach. Verfluchter Einfall, zuerst Barbara zu verleugnen und hinterher auch noch die Tatsache, daß seine Brieftasche wohlgefüllt war! Jetzt blieben ihm, um die dumme Geschichte zu Ende zu bringen, nur noch zwei Möglichkeiten: entweder die Gäste auf irgendeine noch völlig schleierhafte, aber anständige Art abzuschieben oder, wenn das nicht gelingen sollte, unter Vorspiegelung des berühmten Auftrages, er müsse leider in Samarkand für die Bundeswehr Kamele einkaufen, mit Barbara auszurücken und für den Rest des Urlaubs eine neue Zuflucht zu suchen. Auch ohne Angelei.
    Das arme Mädel! Er hatte ihr den Anfang der Ferien wirklich verpatzt. Und er war demütig und zerknirscht und sogar bereit, wenn es durchaus sein mußte, Barbara um Entschuldigung zu bitten und alle Schuld auf sich zu nehmen. Zunächst aber wollte er sich einmal mit Barbara gründlich aussprechen und Pläne schmieden, wie man den Besuch am einfachsten loswerden konnte. Sie hatte immer einen gescheiten Einfall auf Lager, wenn er schon längst nicht mehr weiterwußte. Und wenn sie ihn gestern nicht mit dem verdammten Kerl, diesem Herrn Steffen gereizt hätte, wer weiß, ob ihm die Geschichte nicht schon im Laufe des gestrigen Nachmittags leid getan hätte und langweilig geworden wäre. Aber so war das nun einmal, im Leben wie beim Schachspiel, jeder Zug erforderte einen Gegenzug. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Michael blinzelte nach der Uhr. Sie ging auf sechs. Wenn er Glück hatte, schlief die übrige Gesellschaft noch, und er konnte die Gelegenheit nützen, tun sogleich ungestört mit Barbara zu sprechen. Bislang hatte sich auf der Insel noch nichts Lebendes gerührt.
    Er griff nach seiner Hose. Er griff im Halbdunkel des Zeltes nach rechts — und er griff nach links. Zu merkwürdig, er hätte schwören mögen, Hose und Jacke gestern vor dem Einschlafen neben sich auf dem Boden ausgebreitet zu haben. Die leichte Müdigkeit, die ihn noch umfing, war plötzlich wie fortgeblasen. Michael richtete sich auf und schlug die Zeltklappe zur Seite. Es war nun hell genug darin, um jeden Halm der untergebreiteten Streu zu erkennen, aber außer seinen Strümpfen entdeckte er auch nicht ein einziges Stück von seinen Sachen.

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