Die Libelle
Konvention festgelegten Regeln für Kriegsgefangene einhielten - obwohl das, wie sie sagten, weiß Gott nicht so einfach sei -, und, soweit die Gefängnisvorschriften das zuließen, für Yanuka die Verbindung zur Außenwelt herzustellen. Sie setzten Himmel und Hölle in Bewegung, um ihn aus der Einzelhaft freizubekommen und in den Araber-Block zu überstellen, sagten sie, doch hätten sie erfahren, ein ›strenges Verhör‹ könne jeden Tag beginnen, und dass die Israelis ihn bis dahin in Isolationshaft lassen würden, ob ihnen das nun gefalle oder nicht. Manchmal, so erklärten sie, ließen die Israelis sich einfach von ihrer Besessenheit hinreißen und würden überhaupt nicht mehr an ihr Image denken. Das Wort › Verhör‹ stießen sie voller Abscheu hervor, als ob sie wünschten, sie hätten ein anderes Wort dafür. In diesem Augenblick kam, wie vorgesehen, Oded zurück und tat so, als beschäftigte er sich mit den sanitären Einrichtungen. Die Verhörspezialisten hörten sofort auf zu sprechen, bis er wieder draußen war.
Als nächstes holten sie ein großes, gedrucktes Formular hervor und halfen Yanuka, es eigenhändig auszufüllen: hier der Name, alter Junge, Adresse, Geburtsdatum, die nächsten Angehörigen, ja, so sei es richtig, Beruf - nun ja, wohl Student, oder? -, Ausbildung, Religionszugehörigkeit, tut uns leid, aber das sind nun mal die Vorschriften. Yanuka leistete, trotz anfänglichen Widerstrebens, genau Folge, und dieses erste Anzeichen von Kooperationsbereitschaft wurde unten vom ›Bildungs-Kreis‹ mit stiller Genugtuung zur Kenntnis genommen - selbst wenn seine Handschrift wegen der Drogen recht kindlich ausfiel.
Als sie sich verabschiedeten, reichten die Experten Yanuka eine gedruckte Broschüre, in der auf Englisch seine Rechte dargelegt wurden, und schoben ihm augenzwinkernd und mit einem aufmunternden Klaps auf den Rücken einige Riegel Schweizer Schokolade zu. Und redeten ihn mit seinem Vornamen, Salim, an. Vom Zimmer nebenan beobachteten sie ihn danach eine Stunde lang mit Hilfe von Infrarotlicht, während er völlig im Dunkeln lag, weinte und den Kopf hin und her warf. Dann ließen sie es heller werden, platzten fröhlich bei ihm hinein und riefen: »Guck mal, was wir für dich haben; komm schon, wach auf, Salim, es ist Morgen.« Es war ein Brief, namentlich an ihn adressiert. Poststempel Beirut, c/o Rotes Kreuz und mit dem Vermerk ›Vom Zensor der Haftanstalt geöffnet‹ gestempelt. Von seiner geliebten Schwester Fatmeh, die ihm das vergoldete Amulett geschenkt hatte, das er um den Hals trug. Miss Bach hatte den Brief verfasst, gefälscht hatte ihn Schwili, und Leons chamäleonhafte Begabung hatte ihm den echten Schwung von Fatmehs kritischer Zuneigung verliehen. Als Vorbilder dienten ihnen die Briefe, die Yanuka von ihr erhalten hatte, solange sie ihn beschattet hatten. Fatmeh sandte ihm liebste Grüße und hoffte, Salim werde Mut beweisen, wenn seine Zeit komme - wobei sie unter ›Zeit‹ das gefürchtete Verhör zu verstehen schien. Sie habe beschlossen, ihrem Freund den Laufpass und ihren Bürojob aufzugeben und ihre Arbeit bei der Fürsorge in Sidon wieder aufzunehmen, da sie es nicht länger ertrage, so weit von der Grenze ihres geliebten Palästinas entfernt zu sein, während Yanuka so verzweifelt in der Klemme sitze. Sie bewundere ihn; das werde sie immer tun; Leon schwor es. Bis ans Grab und darüber hinaus werde Fatmeh ihren tapferen, heldenhaften Bruder lieben; dafür hatte Leon gesorgt. Yanuka nahm den Brief scheinbar gleichgültig entgegen, doch nachdem sie ihn wieder allein gelassen hatten, sank er in eine fromme Haltung nieder, reckte den Kopf hoch und edel zur Seite wie ein Märtyrer in Erwartung des Schwertes und drückte Fatmehs Worte an die Wange.
»Ich verlange Papier«, erklärte er den Wächtern großspurig, als sie nach einer Stunde wiederkamen, um seine Zelle auszufegen. Es war, als ob er nicht gesprochen hätte. Oded gähnte sogar. »Ich verlange Papier! Ich verlange die Vertreter des Roten Kreuzes! Ich verlange, einen Brief an meine Schwester Fatmeh zu schreiben, wie mir das nach der Genfer Konvention zusteht. Jawohl!« Auch diese Worte wurden unten günstig aufgenommen, bewiesen sie doch, dass das erste Angebot des ›Bildungs-Kreises‹ von Yanuka angenommen worden war. Sie sandten sofort eine Sondermeldung nach Athen. Die Wächter schlichen kleinlaut davon, angeblich um sich Anweisungen zu holen, und kamen bald darauf mit einem kleinen Stoß
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