Die Libelle
Rot-Kreuz-Papier zurück. Außerdem händigten sie Yanuka einen gedruckten ›Ratschlag für Häftlinge‹ aus, in dem es hieß, nur englisch geschriebene Briefe würden weitergeleitet, vorausgesetzt, sie enthielten keine versteckten Nachrichten. Aber nichts zum Schreiben. Yanuka verlangte einen Kugelschreiber, bettelte darum, schrie sie an und weinte, das alles mit verlangsamten Bewegungen, doch die Gefängniswärter erklärten laut und deutlich, von Bleistift oder Kugelschreiber stehe nichts in der Genfer Konvention. Eine halbe Stunde später besuchten ihn aufgeregt und voll gerechter Empörung die beiden Verhörspezialisten und drückten ihm ihren eigenen Federhalter mit der Aufschrift ›Für Menschlichkeit‹ in die Hand.
So ging die Scharade Szene um Szene mehrere Stunden lang weiter, und Yanuka in seinem geschwächten Zustand wehrte sich vergeblich dagegen, die ihm freundschaftlich entgegengestreckte Hand zurückzuweisen. Seine schriftliche Antwort an Fatmeh war ein klassisches Dokument: ein dreiseitiger geschwätziger Brief voller Ratschläge, Selbstmitleid und kühnen ›Sich-in-die-Brust-Werfens‹ , der Schwili eine erste ›saubere‹ Vorlage von Yanukas Handschrift im Zustand starker seelischer Anspannung lieferte und Leon eine ausgezeichnete Kostprobe seines englischen Stils bot. »Meine geliebte Schwester, in einer Woche steht mir die schwerste Bewährungsprobe meines Lebens bevor; Dein starker Geist wird mich begleiten«, schrieb er. Auch diese Neuigkeit war Gegenstand einer Sondermeldung: »Schickt mir alles«, hatte Kurtz Miss Bach aufgetragen. »Kein Schweigen. Wenn nichts passiert, signalisieren Sie, dass nichts geschieht.« Und schärfer zu Leon: »Sorg dafür, dass sie mir mindestens alle zwei Stunden Nachricht gibt. Am besten stündlich.«
Yanukas Brief an Fatmeh war der erste von mehreren Briefen. Manchmal kreuzten ihre Briefe sich; manchmal beantwortete Fatmeh seine Fragen fast umgehend, nachdem er sie zu Papier gebracht hatte; und stellte ihrerseits Fragen.
Fangt am Ende an, hatte Kurtz ihnen gesagt. Das Ende bestand in diesem Falle aus pausenlosem, anscheinend belanglosem Gerede. Denn die beiden Experten plauderten stundenlang und mit nicht nachlassender Freundlichkeit mit Yanuka, bestärkten ihn, wie er gemeint haben muss, mit ihrer schwerfälligen schweizerischen Treuherzigkeit und bauten seinen Widerstand für den Tag auf, da die israelischen Schergen ihn zur Untersuchung schleppen würden. Zuerst wollten sie seine Meinung zu fast allem, worüber er sich zu unterhalten bereit war, hören, schmeichelten ihm mit ihrer respektvollen Neugier und ihrem Einfühlungsvermögen. Politik, so gestanden sie schüchtern, sei eigentlich nie ihr Feld gewesen; sie hätten immer dazu geneigt, den Menschen über die Ideen zu stellen. Einer von ihnen zitierte aus Gedichten von Robert Burns, der - wie sich herausstellte - zufällig auch ein Lieblingsdichter von Yanuka war. Manchmal hatte es fast den Anschein, als forderten sie ihn auf, sie zu seiner Denkweise zu bekehren, so aufgeschlossen zeigten sie sich seinen Argumenten gegenüber. Sie fragten ihn nach seinem Verhältnis zur westlichen Welt aus, nachdem er mehr als ein Jahr dort gelebt hatte, zuerst ganz allgemein, dann Land um Land, und lauschten hingerissen seinen nicht gerade originellen Verallgemeinerungen: der Eigennutz der Franzosen, die Habgier der Deutschen, die Dekadenz der Italiener. Und England? wollten sie ohne jedes Arg wissen. Oh, England sei am schlimmsten von allen! erwiderte er mit Nachdruck. England sei heruntergekommen, bankrott und richtungslos; England sei der verlängerte Arm des amerikanischen Imperialismus; England sei rundum schlecht, und das schlimmste Verbrechen der Engländer sei es, sein Land den Zionisten ausgeliefert zu haben. Er verlor sich wieder in einer langatmigen Hasstirade auf Israel, und sie ließen ihn gewähren. Sie wollten in diesem frühen Stadium auch nicht den leisesten Argwohn in ihm wecken, dass seine Reisen in England sie ganz besonders interessierten. Statt dessen fragten sie ihn nach seiner Kindheit aus - seinen Eltern, seinem Elternhaus in Palästina -, und mit schweigender Genugtuung nahmen sie zur Kenntnis, dass er seinen älteren Bruder nie auch nur mit einem einzigen Wort erwähnte; dass auch jetzt der große Bruder nicht das geringste mit Yanukas Leben zu tun hatte. Obwohl so viel für sie sprach, war Yanuka, das bemerkten sie wohl, bis jetzt nur bereit, nur von Dingen zu reden, die er als
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