Die Libelle
Konzert des Barkeepers war zu Ende, und er schloss geräuschvoll die Bar, um anzudeuten, dass er demnächst ins Bett zu gehen gedenke. Auf Kurtz’s Vorschlag hin gingen sie in die Hotelhalle und steckten dort die Köpfe zusammen wie zwei Passagiere auf einem windumtosten Deck. Zweimal blickte Kurtz im Laufe ihrer Unterhaltung auf die Uhr und entschuldigte sich eilig, um einen Anruf zu tätigen; als Alexis diesen Anrufen später aus müßiger Neugier nachging, stellte er fest, dass Kurtz einmal zwölf Minuten lang mit einem Hotel in Delphi, Griechenland, gesprochen und bar bezahlt hatte, das andere Mal mit einer Nummer in Jerusalem, die nicht mehr festzustellen war. Um drei Uhr oder noch später tauchten ein paar orientalisch aussehende Gastarbeiter in zerschlissenen Overalls auf und rollten einen großen grünen Staubsauger vorüber, der an ein Krupp-Geschütz erinnerte. Doch Kurtz und Alexis redeten trotz des Lärms weiter, und es war schon ziemlich hell, als die beiden Männer endlich das Hotel verließen und ihren Handel mit einem Händedruck besiegelten. Kurtz freilich war bemüht, seiner jüngsten Anwerbung nicht allzu überschwenglich zu danken, denn Alexis - das wusste Kurtz sehr wohl - war jemand, den man sich durch zuviel Dankbarkeit entfremden konnte.
Der wiedergeborene Alexis eilte heim, und nachdem er sich rasiert, umgezogen und lange genug herumgetrödelt hatte, um seine junge Frau mit seiner hochgeheimen Aufgabe zu beeindrucken, traf er mit einem Ausdruck mysteriöser Zufriedenheit, wie man ihn schon lange nicht mehr auf seinem Gesicht gesehen hatte, in seinem Büro aus Glas und Beton ein. Seinen Mitarbeitern fiel auf, dass er aufgeräumt Spaße machte und sogar ein paar riskante Bemerkungen über seine Kollegen wagte. Ganz der alte Alexis, sagten sie; er zeigt sogar Ansätze von Humor, obwohl das nie seine Stärke gewesen war. Er verlangte nach neutralem Schreibpapier und machte sich daran, wobei er sogar seine Sekretärin ausschloss, einen langen und bewusst dunkel gehaltenen Bericht an seine Vorgesetzten zu verfassen; eine »mir aus meiner früheren Tätigkeit her bekannte, hochstehende orientalische Quelle« sei an ihn herangetreten, und er könne eine ganze Menge brandneuer Informationen über den Godesberger Anschlag beifügen - obwohl diese bis jetzt nur ausreichten, die Zuverlässigkeit des Informanten und damit auch die seines Vertrauensmannes, des guten Doktors, zu bestätigen. Er verlangte gewisse Vollmachten, die Benutzung bestimmter Einrichtungen sowie die Bereitstellung eines Einsatzfonds, über den er nach Gutdünken verfügen dürfe. Er war kein besonders habgieriger Mensch, aber es stimmte, dass seine Wiederverheiratung kostspielig und seine Scheidung ruinös gewesen war. Aber er hatte erkannt, dass in dieser materialistischen Zeit die Menschen das am meisten schätzten, was sie am meisten kostete.
Schließlich machte er dann eine quälende Voraussage, die Kurtz ihm Wort für Wort diktiert und sich hinterher noch einmal genau hatte vorlesen lassen. Sie war so ungenau, dass sie praktisch unbrauchbar war, wiederum aber auch so genau, dass sie einem den Schrecken in die Glieder fahren lassen konnte, wenn sie sich erfüllte. Unbestätigten Berichten zufolge hätten islamisch-türkische Extremisten in Istanbul zum Zwecke antizionistischer Aktivitäten in West-Europa eine große Ladung Sprengstoff bereitgestellt. Für die nächsten Tage sei ein neuer Anschlag zu befürchten. Gerüchte ließen auf ein Ziel in Süddeutschland schließen. Sämtliche Grenzübergänge sowie die bayerische Polizei seien in erhöhte Alarmbereitschaft zu setzen. Weitere Einzelheiten seien noch nicht bekannt. Noch am Nachmittag desselben Tages wurde Alexis zu seinen Vorgesetzten zitiert, und in der Nacht führte er ein sehr langes, geheimes Telefongespräch mit seinem großen Freund Schulmann, um sich von ihm beglückwünschen und ermuntern zu lassen, aber auch neue Instruktionen entgegenzunehmen.
»Sie beißen an, Marty!« rief er aufgeregt auf Englisch. »Sie sind ja solche Schafsköpfe. Wir haben sie vollkommen in der Hand.«
Alexis hat angebissen, unterrichtete Kurtz Litvak in München, aber wir müssen höllisch auf ihn aufpassen und jeden seiner Schritte lenken. »Warum beeilt Gadi sich nicht mit dem Mädchen?« brummte er und warf verdrossen einen Blick auf seine Uhr.
»Weil er inzwischen was gegen ‘s Töten hat!« rief Litvak mit einem Frohlocken in der Stimme, das er nicht zurückhalten konnte.
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