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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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von der Heftzwecke entfernt einstellen, wie man will. Ganz allgemein gelte allerdings die Regel, möglichst wenig Zeit dazwischenzuschalten, um zu gewährleisten, dass die Bombe nicht entdeckt und entschärft wird. Die Uhr ziehe man auf, dann überzeuge man sich davon, dass der Minutenzeiger noch funktioniert. Er tut es. Zu demjenigen beten, von dem man annimmt, dass er einen dazu gebracht hat, den Zünder in die Sprengkapsel hineinzudrücken. In dem Augenblick, da der Minutenzeiger den Dorn der Reißzwecke berührt und der Kontakt den Stromkreis schließt, und so Gott will, geht die Bombe dann los.
    Um dies Wunder zu demonstrieren, entfernte der Schlesier die unschädlich gemachte Zündung sowie die zehn Stäbe Demonstrationssprengstoff aus Plastik und ersetzte ihn durch eine kleine Glühbirne, wie man sie für Taschenlampen verwendet. »So, und jetzt beweise ich Ihnen, wie der Stromkreis funktioniert!« rief er.
    Niemand zweifelte daran, dass es klappte. Die meisten kannten so etwas in- und auswendig, doch wie dem auch sei, für einen Augenblick, so wollte es Alexis scheinen, überlief es unwillkürlich alle Umstehenden gleichzeitig, als die kleine Birne munter ihr Signal aufblinken ließ. Nur Schulmann schien ungerührt. Vielleicht hat er wirklich schon zuviel gesehen, dachte Alexis, und ist das Mitleid in ihm endgültig erloschen. Denn Schulmann achtete überhaupt nicht auf die Birne. Er blieb über den nachgebauten Zündmechanismus gebeugt stehen, setzte ein breites Lächeln auf und betrachtete ihn mit der kritischen Aufmerksamkeit eines Kenners. Ein Parlamentarier, der zeigen wollte, wie gescheit er war, erkundigte sich, warum die Bombe nicht rechtzeitig losgegangen sei. »Diese Bombe war vierzehn Stunden im Haus«, wandte er in seidigem Englisch ein. »Ein Minutenzeiger dreht sich aber höchstens eine Stunde, ein Stundenzeiger zwölf Stunden. Wie erklärt man sich, bitte, vierzehn Stunden bei einer Bombe, die maximal nur zwölf Stunden warten kann?«
    Der Schlesier hatte für jede Frage einen ganzen Vortrag bereit. Einen solchen gab er jetzt zum besten, während Schulmann, immer noch nachsichtig lächelnd, anfing, mit dicken Fingern an den Rändern des Modells leicht herumzupolken, als ob er in der Füllung darunter etwas verloren hätte. Vielleicht habe die Uhr nicht funktioniert, sagte der Schlesier. Möglicherweise habe die Autofahrt bis in die Drosselstraße den Mechanismus durcheinandergebracht. Denkbar auch, dass der Arbeits-Attache, als er den Koffer auf Elkes Bett legte, den Stromkreis gestört habe, sagte der Schlesier. Und da es sich um eine billige Uhr gehandelt habe, sei auch vorstellbar, dass sie aufgehört habe zu gehen und dann plötzlich wieder in Gang gekommen sei. Alles war möglich, dachte Alexis, dem es nicht gelang, seinen Ärger herunterzuschlucken. Schulmann jedoch kam mit einem anderen, einem genialeren Vorschlag.
    »Oder vielleicht hat der Bombenbastler nicht genug Farbe vom Uhrzeiger runtergekratzt«, sagte er wie beiläufig, während er seine Aufmerksamkeit den Scharnieren des Koffers zuwandte. Er fischte ein altes Soldatenmesser aus der Tasche, wählte einen plumpen Dorn aus der Vielzahl der Möglichkeiten aus, schob ihn versuchsweise unter den Kopf der Reißzwecke und überzeugte sich, wie leicht es war, sie zu entfernen. »Die Leute in Ihrem Labor haben die ganze Farbe abgekratzt. Aber wer weiß, vielleicht war dieser Bombenbastler nicht so ein wissenschaftlicher Typ wie Ihre Techniker«, sagte er und ließ den Dorn laut einschnappen. »Nicht so fähig. Nicht so sauber in seinen Konstruktionen.«
    Aber es war doch ein Mädchen, wandte Alexis heftig bei sich ein. Warum spricht Schulmann plötzlich von einem er, wo wir doch an ein hübsches Mädchen in einem blauen Kleid denken sollen? Zumindest für den Augenblick offenbar völlig ahnungslos, in welchem Maße er den Schlesier mitten in seiner Vorführung abgekanzelt hatte, wandte Schulmann seine Aufmerksamkeit der hausgebastelten Zündvorrichtung im Deckelinneren zu und zupfte vorsichtig an dem Ende Draht, das ins Futter hineingesteckt und mit einem Dübel in der Öffnung der Wäschekammer verbunden war. »Gibt es da was Interessantes, Herr Schulmann?« erkundigte sich der Schlesier mit engelhafter Selbstbeherrschung. »Haben Sie vielleicht eine Spur entdeckt? Sagen Sie es uns, bitte. Es interessiert uns sehr.«
    Schulmann überlegte sich das großzügige Angebot.
    »Zuwenig Draht«, verkündete er dann, wandte sich wieder dem

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