Die Libelle
ließ ein leises Lachen vernehmen, Schulmann stimmte ein, der Whisky kam, und sie tranken einander zu; freilich nicht mit der schwerfälligen deutschen Zeremonie des Sich-in-die-Augen-Sehens, Nippens und Sich-wie-der-Anblickens, die Alexis stets übertrieben fand, besonders Juden gegenüber, die in deutscher Förmlichkeit instinktiv etwas Bedrohliches sahen.
»Wie ich gehört habe, bekommen Sie eine neue Aufgabe, unten in Wiesbaden«, sagte Schulmann immer noch auf deutsch, nachdem sie diese Zeremonie des Sich-miteinander-Bekanntmachens hinter sich hatten. »Irgendeinen Schreibtisch-Job. Größer, aber kleiner, wie ich höre. Es heißt, Sie brächten die Leute hier alle dazu, sich ganz klein zu fühlen. Jetzt, wo ich Sie und die Leute hier erlebt habe, überrascht mich das nicht.«
Alexis versuchte seinerseits, nicht überrascht zu sein. Über Einzelheiten einer neuen Aufgabe war noch nichts gesagt worden - nur, dass überhaupt Neues auf ihn zukomme. Selbst dass der Schlesier sein Nachfolger hier werden sollte, hatte noch geheim bleiben sollen. Alexis hatte noch gar keine Zeit gehabt, irgend jemand davon zu erzählen, nicht einmal seiner jungen Freundin, mit der er mehrmals täglich recht läppische Telefongespräche führte. »Tja, das ist der Lauf der Dinge, nicht wahr?« meinte Schulmann weise, und das war ebenso sehr für den Fluss wie für Alexis bestimmt. »Aber glauben Sie mir, in Jerusalem sitzt man auch immer auf einem wackligen Stuhl. Mal geht’s den Bach rauf, mal runter. Das ist der Lauf der Dinge.« Trotzdem schien er ein bisschen enttäuscht. »Und sie soll auch eine reizende Frau sein«, fügte er noch hinzu, womit er sich abermals mit Nachdruck in die Gedanken seines Gefährten drängte. »Attraktiv, klug, treu. Vielleicht bringt sie als Frau die Leute hier dazu, sich klein zu fühlen.« Alexis widerstand der Versuchung, das Gespräch zu benutzen, über seine eigenen Schwierigkeiten im Leben zu reden, und lenkte es statt dessen auf die Besprechung heute Morgen, doch Schulmann antwortete nur vage und meinte, Techniker hätten noch nie ein Problem gelöst, und Bomben langweilten ihn. Er hatte pastasciutta bestellt und aß sie nach Gefangenen-Art, indem er Gabel und Löffel ganz automatisch benutzte und sich gar nicht die Mühe machte, hinunterzusehen. Alexis, der fürchtete, seinen Redefluss zu unterbrechen, hielt sich mit dem Reden zurück, so gut er konnte.
Zuerst erging Schulmann sich mit der erzählerischen Mühelosigkeit des älteren Mannes in zurückhaltend formulierten Klagen über Israels sogenannte Verbündete bei der Terroristenbekämpfung. »Im vergangenen Januar, bei einer ganz anderen Ermittlung, haben wir uns an unsere italienischen Freunde gewandt«, erklärte er in behäbigem Plauderton. »Legten ihnen ein paar schöne Beweise vor, nannten ihnen einige erstklassige Adressen. Und als nächstes hörten wir, dass sie ein paar Italiener verhaftet hatten, während die Leute, hinter denen Jerusalem her war, längst über alle Berge waren und wieder sicher in Libyen saßen, braungebrannt und ausgeruht aussahen und auf ihren nächsten Auftrag warteten. Das hatten wir nun wirklich nicht im Auge gehabt.«
Ein Mundvoll pasta . Die Lippen mit der Serviette abgetupft. Essen ist Brennstoff für ihn, dachte Alexis; er isst, um kämpfen zu können. »Im März stand eine andere Sache an, und da war es haargenau das gleiche, nur, dass wir es diesmal mit Paris zu tun hatten. Gewisse Franzosen wurden zwar festgenommen, aber sonst niemand. Und gewisse Beamte kriegten auch ein dickes Lob und wurden durch uns sogar befördert. Aber die Araber...« Er vollführte eine weit ausholende, nachsichtige Geste. »Zweckmäßig mag es schon sein. Gesunde Ölpolitik, gesunde Wirtschaft, gesunde Was-weiß-ich. Nur, gerecht ist es nicht. Und wir mögen nun mal Gerechtigkeit.« Sein Lächeln wurde breiter, stand in krassem Gegensatz zu dem dünnen Witz. »Deshalb würde ich sagen, wir haben gelernt, uns genau anzusehen, mit wem wir zusammenarbeiten. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es besser ist, zuwenig zu sagen als zuviel. Jemand ist uns wohlgesonnen, hat auch einiges vorzuweisen - zum Beispiel einen guten Vater im Hintergrund wie den Ihren -, mit so jemand arbeiten wir zusammen. Äußerst behutsam, formlos, wie unter Freunden. Wenn er das, was er von uns erfährt, sinnvoll für sich verwerten kann und ihm das hilft, in seinem Beruf ein bisschen voranzukommen - uns kann es nur recht sein, wenn unsere Freunde
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