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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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weißgedeckten Tisch zu und suchte unter den schauerlichen Exponaten herum. »Hier drüben haben wir die Überreste von siebenundsiebzig Zentimetern Draht.« Er fuchtelte mit einer verkohlten und aufgewickelten Drahtdocke in der Luft herum. Wie ein Strang Wolle war sie ohne Halterung aufgewickelt und wurde von einer Schlaufe um die Taille zusammengehalten. »In Ihrer Rekonstruktion sind es höchstens fünfundzwanzig Zentimeter. Warum fehlt bei Ihrer Rekonstruktion ein halber Meter Draht?« Einen Moment herrschte betretenes Schweigen, ehe der Schlesier ein lautes, nachsichtiges Lachen ausstieß.
    »Aber, Herr Schulmann - der war doch übrig, dieser Draht«, erklärte er, als müsse er einem Kind etwas erklären. »Für die Wicklung. Ganz einfacher Draht. Als der Bombenbastler seinen Apparat fertig hatte, war offensichtlich Draht übrig, und da hat er – oder sie -ihn in den Koffer geworfen. Aus Gründen der Sauberkeit; so was ist normal. Der Draht war einfach übrig. Hatte technisch überhaupt nichts zu bedeuten. Wissen Sie nicht, was übrig bedeutet? Sag ihm doch übrig .«.
    » Left over ?« übersetzte jemand höchst überflüssigerweise. »Er hat keine Bedeutung, Mr. Schulmann. Er ist übrig geblieben.« Der Augenblick war vorüber, die Kluft überbrückt, und als Alexis das nächstemal einen Blick von Schulmann erhaschte, stand dieser diskret an der Tür, im Begriff zu gehen, den breiten Kopf jedoch teilweise Alexis zugewandt und den Arm mit der Uhr erhoben, aber dennoch wie jemand, der eher seinen Bauch befragt als seine Uhr. Ihre Blicke trafen sich nicht ganz; trotzdem war Alexis überzeugt, dass Schulmann auf ihn wartete, wollte, dass er quer durch den Saal zu ihm kam und ihm bedeutete: Mittagessen . Der Schlesier redete eintönig weiter, die Zuhörer standen unentschlossen um ihn herum wie eine Traube von Fluggästen, die landen mussten. Alexis löste sich unauffällig vom Rand dieser Gruppe und ging auf Zehenspitzen rasch hinter dem davongehenden Schulmann her. Auf dem Korridor packte Schulmann ihn mit einer spontan liebevollen Geste am Arm. Auf dem Bürgersteig - es war wieder ein bezaubernder, sonniger Tag - zogen beide Männer die Jacken aus, und Alexis erinnerte sich später sehr gut, wie Schulmann die seine zusammenrollte wie einen Schlafsack, während Alexis ein Taxi heranwinkte und dem Fahrer den Namen eines italienischen Restaurants nannte.
    das auf einem Hügel auf der anderen Seite von Bad Godesberg lag. Frauen hatte er dorthin zwar schon ausgeführt, nie jedoch Männer, und Alexis, der Genussmensch, war sich eines ersten Mals stets bewusst.
    Auf der Fahrt wechselten sie kaum ein Wort. Schulmann bewunderte die Aussicht und strahlte die Heiterkeit dessen aus, der sich seinen Sabbat verdient hatte, obwohl es erst Mitte der Woche war. Seine Maschine, so erinnerte sich Alexis, sollte Köln am frühen Abend verlassen. Wie ein Kind, das schulfrei bekommen hat, zählte Alexis die Stunden, die ihnen blieben, wobei er davon ausging, dass Schulmann keinerlei andere Verpflichtungen hatte, eine lächerliche, aber wundervolle Vermutung. Im Restaurant, hoch auf der Cäcilien-Höhe, machte der italienische Besitzer, wie vorauszusehen war, ziemliches Aufheben um Alexis, doch Schulmann bezauberte ihn dann regelrecht. Der Wirt redete ihn mit ›Herr Professor‹ an und ließ es sich nicht nehmen, einen großen Tisch am Fenster zu decken, an dem ohne weiteres sechs Personen hätten sitzen können. Unter ihnen lag die Altstadt, dahinter die Windungen des Rheins mit den braunen Hügeln und den schartigen Burgen. Alexis kannte die Landschaft zwar in- und auswendig, doch heute sah er sie mit den Augen seines neuen Freundes Schulmann zum erstenmal. Alexis bestellte zwei Whiskys. Schulmann erhob keinen Einwand. Während sie auf die Drinks warteten, blickte Schulmann bewundernd auf und sagte schließlich: »Wer weiß, wenn Wagner sich nicht den Siegfried vorgenommen hätte, ob wir dann heute nicht doch eine bessere Welt hätten.«
    Im ersten Augenblick begriff Alexis nicht, wie ihm geschah. Bis zu diesem Augenblick war sein Arbeitstag ziemlich voll gewesen; er hatte einen leeren Magen und war etwas durcheinander. Schulmann sprach deutsch! Unverkennbar mit sudetendeutschem Akzent, der knarrte wie eine eingerostete Maschine, die lange nicht gelaufen ist. Und tat es überdies auch noch mit einem zerknirschten Grinsen, das zugleich ein Geständnis war und die Aufforderung, sich verschwörerisch mit ihm zusammenzutun. Alexis

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