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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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er.
    »Wieso?«
    Mit einem Kopfschütteln tat er die Frage ab. Sie kehrten zum Mercedes zurück. »Ist Khalil der Name seines Bruders?« »Ja.»
    »Du hast doch aber gesagt, das sei der arabische Name für Hebron.«
    Er war erfreut, aber auch merkwürdig abwesend. »Es ist beides.« Er ließ den Motor an. »Khalil für unsere Stadt. Khalil für meinen Bruder. Khalil, der ›Freund Gottes‹ und des hebräischen Propheten Abraham, der vom Islam verehrt wird und in unserer alten Moschee begraben liegt.«
    »Also Khalil«, sagte sie.
    »Khalil«, pflichtete er kurz angebunden bei. »Präg ihn dir ein. Und auch die Umstände, unter denen er dir das anvertraut hat. Weil er dich liebt. Weil er seinen Bruder liebt. Weil du die Pistole seines Bruders geküsst hast und damit von seinem Blute bist.« Sie fuhren den Hügel hinunter. Joseph saß am Steuer. Sie wusste nicht mehr, wer sie war, falls sie das jemals gewusst hatte. Der Knall ihrer eigenen Schüsse hallte noch in ihren Ohren wider. Sie hatte noch den Geschmack des Pistolenlaufs auf den Lippen, und als er ihr den Olymp zeigte, sah sie nichts weiter als schwarze und weiße Regenwolken, die aussahen wie ein Atompilz. Joseph war genauso befangen wie sie, doch sein Ziel lag wieder vor ihnen, und er trieb beim Fahren unerbittlich seine Geschichte voran und fügte ein Detail ans andere. Wieder Khalil. Die Zeit, die sie zusammen gewesen waren, ehe er in den Kampf gezogen war. Nottingham, ihre große Seelenbegegnung. Seine Schwester Fatmeh und seine große Liebe zu ihr. Und seine anderen Brüder, die tot waren. Sie kamen auf die Küstenstraße. Der Verkehr donnerte dahin, viel zu schnell; auf den verdreckten Stränden standen hier und da eingefallene Hütten, die Fabrikschlote sahen wie Gefängnisse aus, die auf sie warteten. Sie versuchte, seinetwegen wach zu bleiben, doch zuletzt schaffte sie es nicht mehr. Sie legte den Kopf an seine Schulter und entfloh eine Zeitlang.
    Das Hotel in Saloniki war ein Klotz aus der Zeit um die Jahrhundertwende mit angestrahlten Kuppeln und einer gewissen Weitläufigkeit. Ihre Suite lag im obersten Stock, hatte einen Alkoven für Kinder und ein sechs Meter langes Badezimmer sowie verschrammte Möbel aus den zwanziger Jahren wie daheim. Sie hatte das Licht angeknipst, doch er befahl ihr, es wieder auszumachen. Er hatte Essen heraufkommen lassen, doch keiner von ihnen hatte es angerührt. Mit dem Rücken zu ihr, stand er am Erkerfenster und schaute hinunter auf den grünen Platz und den mondbeschienenen Hafen dahinter. Charlie saß auf dem Bett. Fetzen griechischer Musik von der Straße erfüllten den Raum.
    »Also, Charlie.«
    »Also, Charlie«, wiederholte sie echogleich und wartete auf die Erklärung, die er ihr schuldig war.
    »Du hast gelobt, an meinem Kampf teilzunehmen. Aber was für ein Kampf ist das? Wie wird er ausgetragen? Wo? Ich habe von unserer Sache erzählt, habe von Unternehmungen geredet: Wir glauben, also handeln wir. Ich habe dir gesagt, dass Terror Theater ist und dass die Welt manchmal an den Ohren hochgezogen werden muss, ehe sie auf die Gerechtigkeit hört.« Sie rutschte unruhig hin und her.
    »In meinen Briefen und in unseren langen Diskussionen habe ich dir wiederholt versprochen, dich bis zum Einsatz zu bringen. Aber dann habe ich immer wieder Ausflüchte gemacht, habe es hinausgeschoben. Bis heute abend. Vielleicht traue ich dir nicht. Oder vielleicht liebe ich dich inzwischen so sehr, dass ich dich nicht an der vordersten Front sehen möchte. Du weißt nicht, was es von diesen Dingen wirklich ist, aber manchmal hat meine Heimlichtuerei dich verletzt. Wie aus deinen Briefen hervorgeht.« Die Briefe, dachte sie wieder; immer die Briefe. »Ja, wie wirst du nun tatsächlich mein kleiner Soldat? Das ist es, worüber wir heute Nacht reden werden. Hier. In dem Bett, auf dem du sitzt. Am letzten Abend unserer Hochzeitsreise durch Griechenland. Vielleicht ist es überhaupt die letzte Nacht, die wir jemals zusammen verbringen werden, denn du kannst nie sicher sein, mich wieder zu sehen.«
    Er wandte sich ihr zu, doch nichts überstürzte sich. Es war, als hätte er seinem Körper vorsichtig die gleichen Einschränkungen auferlegt, die auch seine Stimme beherrschten. »Du weinst viel«, sagte er. »Ich glaube, heute Nacht wirst du auch weinen… Während du mich in den Armen hältst. Während du mir ewige Treue schwörst. Ja? Du weinst, und während du weinst, sage ich zu dir: ›Es ist soweit.‹ Morgen werden wir unsere

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