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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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quer gelegt hatten. Einen Augenblick dachte sie sogar, genau dies werde geschehen. Als sie aus dem Badezimmer kam, lag Joseph der Länge nach ausgestreckt auf dem Bett und sah sie an; sie legte sich neben ihn und bettete ihren Kopf auf seine Brust, hob dann das Gesicht und fing an, ihn zu küssen, das heißt ihm schwerelose, ausgewählte Küsse auf Lieblingsstellen an den Schläfen, Wangen und schließlich auf die Lippen zu geben. Seine Hand hielt sie am Rücken, kam dann hoch zu ihrem Gesicht, und er küsste sie seinerseits, hielt die Hand an ihrer Wange und hielt die Augen offen. Dann schob er sie sehr behutsam von sich und setzte sich auf. Und küsste sie noch einmal: Wiedersehen! »Horch!« sagte er und nahm seinen Mantel.
    Er lächelte. Sein schönes, gütiges Lächeln, sein allerbestes. Sie horchte und hörte, wie der Nottinghamer Regen gegen ihr Fenster prasselte - der gleiche Regen, der sie zwei Nächte und einen ganzen Tag lang im Bett hatte verbringen lassen.
    Am nächsten Morgen legten sie wehmütig die kleinen Ausflüge zurück, die sie und Michel in die ländliche Umgebung gemacht hatten, bis sie das Verlangen wieder ins Motel zurückgebracht hatte; alles wegen der sichtbaren Erinnerungen, wie Joseph ihr ernst versicherte, und wegen der zusätzlichen Sicherheit, es wirklich gesehen zu haben. Zwischen solchen Lektionen brachte er ihr - und das war eine gewisse Erleichterung - andere Dinge bei. Stumme Signale, wie er sie nannte: und eine Methode, auf der Innenseite einer Marlboro-Schachtel eine Geheimschrift anzubringen, etwas, was sie irgendwie nicht ernst nehmen konnte. Mehrere Male trafen sie sich bei einer Kostümbildnerin hinterm Strand, für gewöhnlich nach den Proben.
    »Sie kommen wegen der Anprobe, nicht wahr, meine Liebe?« sagte eine riesenhafte, in wallende Gewänder gehüllte Blondine um die Sechzig jedes Mal, wenn Charlie zur Tür hereinkam. »Hier entlang, bitte«, sagte sie und führte Charlie in ein nach hinten hinaus gehendes Schlafzimmer, wo Joseph wie der Freier einer Hure auf sie wartete. Herbst steht dir, dachte sie; dass sein Haar leicht meliert war, fiel ihr ebenso wieder auf wie der rosige Hauch auf seinen hageren Wangen; das wird immer so sein.
    Am meisten beunruhigte sie, dass sie keine Ahnung hatte, wie sie ihn erreichen könne: »Wo wohnst du? Wie kann ich mich mit dir in Verbindung setzen?«
    Durch Cathy, sagte er dann wohl. Du hast die Sicherheitssignale, und du hast Cathy.
    Cathy war ihre Rettungsleine, Josephs Vorzimmer, die Hüterin seiner Unnahbarkeit. Jeden Abend zwischen sechs und acht betrat Charlie eine Telefonzelle, immer eine andere, und wählte eine Nummer im West End, damit Cathy den Tag mit ihr durchgehen konnte: wie es auf der Probe gewesen sei, ob sie etwas Neues von Al oder der Clique gehört habe, wie es Quilley gehe und ob sie über neue Rollen gesprochen hätten, ob sie schon für den Film vorgesprochen habe und ob sie irgend etwas brauche? - oft über eine halbe Stunde oder länger. Zuerst hatte Charlie etwas gegen Cathy, sah in ihr eine Beschneidung ihrer Beziehung zu Joseph, doch nach
    und nach freute sie sich auf ihr Geplauder, denn wie sich herausstellte, konnte Cathy umwerfend witzig sein und besaß eine gute Portion gesunden Menschenverstand. Charlie stellte sie sich als jemand Warmherziges und Realistisches vor, möglicherweise eine Kanadierin: eine von jenen Psychotherapeutinnen, die nichts erschüttern konnte und die sie in der Tavistock Clinic aufgesucht hatte, als sie aus der Schule geflogen war und gedacht hatte, sie drehe durch. Das war gar nicht so dumm von Charlie, denn wenn Miss Bach auch Amerikanerin war und keine Kanadierin, ihre Vorfahren waren seit Generationen Ärzte gewesen.
    Das Haus in Hampstead, das Kurtz für seine Leute gemietet hatte, war sehr groß und lag an einer stillen Seitenstraße, eine beliebte Übungsstraße der Fahrschule Finchley. Die Hausbesitzer hatten sich auf den Vorschlag ihres guten Freundes Marty aus Jerusalem klammheimlich nach Marlow verzogen, doch ihr Haus war eine Feste stiller und intellektueller Eleganz geblieben. Im Salon hingen Bilder von Nolde und im Wintergarten ein Foto von Thomas Mann mit Widmung; ein Vogel im Käfig sang, wenn man ihn aufzog, in der Bibliothek standen knarrende Lederstühle und im Musikzimmer ein Bechsteinflügel. Im Keller gab es eine Tischtennis-Platte, und nach hinten hinaus einen ziemlich verwilderten Garten mit einem unebenen grauen Tennisplatz, der allerdings schon so

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