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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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letzten Mal zusammengewesen waren. Diesmal stellte sie zu ihrer Überraschung fest, dass sie ganz wunderbar mit ihr konnte. Sie blieb die Nacht über, band am nächsten Morgen ein dunkles Kopftuch um - auf keinen Fall das weiße -, fuhr sie zur Kirche und bemühte sich, nicht an das letzte Mal zu denken, als sie ein Kopftuch aufgehabt hatte. Als sie kniete, regte sich ein unerwarteter Rest von Frömmigkeit in ihr, und sie legte Gott ihre verschiedenen Identitäten zu Füßen. Als sie dem Orgelspiel zuhörte, musste sie weinen, und das brachte sie dazu, darüber nachzudenken, wie sehr sie sich eigentlich unter Kontrolle hatte. Es liegt daran, weil ich es nicht über mich bringen kann, in meine Wohnung zurückzukehren, dachte sie.
    Durcheinander brachte sie, wie ihre Wohnung auf gespenstische Weise verändert worden war, um der neuen Persönlichkeit zu entsprechen, in die sie so sorgsam hineinwuchs: ein Szenenwechsel, dessen Ausmaß nur ganz allmählich deutlich wurde. Die tückische Umgestaltung ihrer Wohnung während ihrer Abwesenheit war das Beunruhigendste an ihrem ganzen neuen Leben. Bis jetzt hatte sie die Wohnung für den sichersten Ort überhaupt gehalten, eine Art architektonischer Ned Quilley. Sie hatte sie von einem engagementslosen Schauspieler geerbt, der - nachdem er Einbrecher geworden war - in Pension gegangen war und sich zusammen mit seinem Freund nach Spanien abgesetzt hatte. Sie lag am Nordrand von Camden Town über einer goanesisch-indischen Fernfahrer-Kneipe, in der es um zwei Uhr morgens lebendig wurde und wo man bis sieben Samosas und warmes Frühstück bekommen konnte. Um zu ihrer Treppe zu gelangen, musste man sich zwischen Klo und Küche hindurchzwängen und einen kleinen Hinterhof überqueren, und bis dahin hatten einen der Wirt, der Koch und der freche Freund des Kochs genau unter die Lupe genommen - ganz zu schweigen von demjenigen, der vielleicht gerade zufällig auf dem Klo saß. Oben an der Treppe war eine zweite Tür, durch die man hindurch musste, ehe man den geheiligten Bereich betrat, der aus einem Dachzimmer mit dem besten Bett der Welt bestand, einem Bad und einer Küche, alle separat und der Mietpreisüberwachung unterliegend. Und jetzt hatte sie plötzlich diesen Trost der Sicherheit verloren. Man hatte ihn ihr gestohlen. Ihr war, als hätte sie die Wohnung für die Dauer ihrer Abwesenheit an jemand vermietet gehabt und der hätte, um ihr einen Gefallen zu tun, alle möglichen unpassenden Veränderungen daran vorgenommen. Wie sie jedoch unbemerkt hereingekommen waren, blieb ein Geheimnis. Als sie in der Kneipe nachfragte, hatten sie dort keine Ahnung. Da war zum Beispiel ihre Schreibschublade, in die ganz hinten Michels Briefe hineingestopft worden waren - sämtliche Originale, von denen sie in München die Fotokopien gesehen hatte. Da war ihre Kampfreserve von dreihundert Pfund, alles in alten Fünfern hinter der rissigen Wandverkleidung im Bad versteckt, wo sie in der Zeit, als sie noch Marihuana geraucht hatte, ihr Gras aufbewahrt hatte. Sie verbarg sie nun in einem Zwischenraum unter den Dielenbrettern, dann wieder im Badezimmer und dann wieder unter den Dielenbrettern. Da waren ihre Souvenirs, die zusammengetragenen Bruchteile ihrer Liebesgeschichte vom Tag Eins in Nottingham an: Zündholzheftchen aus dem Motel; der billige Kugelschreiber, mit dem sie ihre ersten Briefe nach Paris geschrieben hatte; die allerersten gold-braunen Orchideen, gepresst und zwischen den Seiten ihres Mrs. Beeton-Kochbuchs aufgehoben; das erste Kleid, das er ihr gekauft hatte - damals in York, sie waren zusammen in den Laden gegangen; die schaurigen Ohrringe, die er ihr in London geschenkt hatte und die sie wirklich nicht tragen konnte, höchstens, um ihm eine Freude zu machen. Derlei Dinge hatte sie halb erwartet; Joseph hatte sie praktisch darauf vorbereitet. Was sie jedoch so beunruhigte, war, dass diese Kleinigkeiten, als sie anfing, mit ihnen zu leben, mehr sie selbst wurden, als sie es selber war: in ihrem Bücherregal die oft durchgeblätterten Hochglanz-Informationsbroschüren über Palästina, die mit den vorsichtigen Widmungen von Michel versehen waren; an der Wand das pro-palästinensische Poster mit den froschähnlichen Zügen des israelischen Premierministers, das sich alles andere als schmeichelhaft über die Umrisse arabischer Flüchtlinge breitete; daneben waren die farbigen Landkarten gepinnt worden, auf denen der Verlauf der israelischen Expansion seit 1967 eingezeichnet war -

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