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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Gemeindeblättchens zu einem Fidibus zusammenzudrehen, und nachdem sie ihn in eine schmutzige Teetasse gesteckt hatte, zündete sie ein Ende an, um ein Licht zu bekommen. Mit dem Tisch darüber und der Balustrade der Empore daneben war die Flamme so wenig zu sehen, wie es nur irgend ging. Trotzdem blies sie sie aus, sobald sie gewählt hatte. Sie musste fünfzehn Zahlen wählen, und beim ersten Mal gab das Telefon nur einen Misston von sich. Beim zweiten Mal verwählte sie sich und bekam irgendeinen Italiener an die Strippe, der sie wüst beschimpfte. Beim dritten Mal rutschte ihr die Fingerspitze ab, aber beim vierten Versuch kam ein gedankenvolles Schweigen, dem das Klingeln eines Anschlusses auf dem Festland folgte. Viel später folgte die schrille, deutsch sprechende Stimme von Helga.
    »Hier spricht Johanna«, sagte Charlie. »Wissen Sie noch?« -Wieder gedankenvolles Schweigen. »Wo sind Sie, Johanna?«
    »Kümmern Sie sich doch um Ihren eigenen Dreck.« »Haben Sie Probleme, Johanna?«
    »Eigentlich nicht. Ich wollt’ bloß danke schön sagen, dass Sie mir die Bullen auf den Hals gehetzt haben.«
    Dann packte sie, das muss zu ihrem Ruhm gesagt werden, die alte Wahnsinnswut, und sie ließ ihr mit einer Hemmungslosigkeit freien Lauf, wie sie sie seit jenem Tag, an den sie sich nicht erinnern durfte, nicht mehr hatte aufbringen können, als Joseph sie einen Blick auf ihren jungen Liebhaber hatte werfen lassen, ehe sie ihn in die Luft hatten gehen lassen. Schweigend hörte Helga sie bis zu Ende an. »Wo sind Sie?« sagte sie, als Charlie fertig zu sein schien. Sie sprach mit größter Zurückhaltung, als verstoße sie gegen ihre eigenen Regeln.
    »Vergessen Sie’s«, sagte Charlie.
    »Kann man Sie irgendwo erreichen? Sagen Sie mir, wo sie die nächsten achtundvierzig Stunden sind.«
    »Nein.«
    »Könnten Sie mich bitte in einer Stunde noch mal anrufen?«
    »Kann ich nicht.«
    Langes Schweigen. »Wo sind die Briefe?«
    »In Sicherheit.«
    Nochmals Schweigen. »Nehmen Sie Bleistift und Papier.«
    »Brauche ich nicht.«
    »Trotzdem. Sie sind nicht in der Verfassung, um etwas genau behalten zu können. Fertig?«
    Keine Adresse, und auch keine Telefonnummer. Dafür Straßenangaben, eine Zeit und genaue Anweisungen, wie sie zu dem Treffpunkt kommen sollte. »Tun Sie genau, was ich Ihnen sage. Wenn Sie es nicht schaffen, wenn Sie noch mehr Schwierigkeiten haben, rufen Sie die Nummer an, die auf Antons Visitenkarte steht, und sagen Sie, Sie wollten sich mit Petra in Verbindung setzen. Bringen Sie die Briefe mit. Hören Sie mich? Petra, und die Briefe mitbringen! Wenn Sie die Briefe nicht mitbringen, werden wir sehr, sehr böse auf Sie sein.«
    Als Charlie auflegte, hörte sie, wie unten im Zuschauerraum ein einzelnes Paar Hände leise Beifall klatschte. Sie trat an die Balustrade, blickte hinunter und sah zu ihrer unsagbaren Wonne Joseph ganz allein in der Mitte der ersten Reihe sitzen. Sie machte kehrt und flog die Treppe zu ihm hinunter. Als sie die unterste Stufe erreichte, erwartete er sie mit ausgebreiteten Armen. Er hatte Angst, dass sie in der Dunkelheit ausrutschen könnte. Er küsste sie und hörte nicht auf, sie zu küssen; dann führte er sie wieder auf die Empore hinauf, hielt auch an der schmälsten Stelle der Treppe noch den Arm um sie gelegt, in der anderen Hand trug er einen Korb. Er hatte Räucherlachs und eine Flasche Wein mitgebracht, hatte alles unausgepackt auf den Tisch gestellt. Er wusste, wo die Teller unter dem Ausguss standen und wie man den Heizofen an die Extrasteckdose des Herds anschloss. Er hatte eine Thermosflasche mit Kaffee und ein paar ziemlich vergammelte Wolldecken aus Loftys Höhle unten heraufgebracht. Er stellte die Thermosflasche mit den Tellern hin und ging dann herum, um die großen viktorianischen Türen zu überprüfen und von innen zu verriegeln. Selbst in dem dämmerigen Licht erkannte sie - sah es an der Haltung seines Rückens und seinen bewusst vertraulichen Bewegungen -, dass er etwas tat, was nicht im Rollenbuch stand, er verschloss die Türen vor allem, was nicht in ihre Welt gehörte. Er setzte sich neben sie aufs Sofa und legte eine Wolldecke um sie, denn gegen die Kälte im Saal musste man wirklich etwas unternehmen genauso wie gegen ihr Zittern, mit dem sie nicht aufhören konnte. Der Anruf bei Helga hatte sie vor Angst ganz krank gemacht wie die Scharfrichteraugen des Polizisten in ihrer Wohnung, wie die sich häufenden Tage des Wartens und nur halb Wissens, was

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