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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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willst, es ist egal!« schrie er sie an, als sie hereinkam. »Jetzt haben wir die Bescherung! Das bedeutet Krieg, und zwar totalen Krieg!«
    Er tobte weiter, bis Charlie ihn anschrie: »Halt jetzt endlich die Klappe und sag mir, was passiert ist.« »Was passiert ist, Mädchen? Passiert ? Nichts Geringeres, als dass die Konterrevolution ihre erste Salve abgefeuert hat, und zwar auf mich alten Esel.«
    »Kannst du denn nicht mal klipp und klar sagen, was geschehen ist?« schrie Charlie zurück, verlor jedoch fast den Verstand, bis sie ihm endlich die Tatsachen aus der Nase gezogen hatte. Al sei aus so einer Stammkneipe gekommen, sagte er, und da hätten diese drei Gorillas ihn angefallen. Mit einem, ja sogar mit zweien wäre er ja noch fertig geworden, aber sie waren zu dritt und außerdem knallharte Burschen, sie hätten ihn gemeinsam in die Mangel genommen. Erst als sie ihn halb kastriert in den Polizeiwagen verfrachtet hatten, war’ ihm aufgegangen, dass es sich um Bullen handelte, die ihn aufgrund irgendeiner zusammen gesponnenen Anzeige wegen unsittlichen Verhaltens in der Öffentlichkeit eingelocht hätten.
    »Und weißt du, worum es ihnen wirklich ging, ja?« Er zeigte mit dem ausgestreckten Arm auf sie. »Um dich , Mädchen! Um dich und mich und unsere Scheißpolitik, kapiert? Und ob wir wohl zufällig irgendwelche netten palästinensischen Aktivisten in unserem Freundeskreis hätten. Zwischendurch wollten sie mir weismachen, ich hätte im Klo von der Rising Sun den Pimmel rausgeholt, hätte irgendeinem reizenden Jung-Bullen einen unsittlichen Antrag und mit der rechten Hand Wichsbewegungen gemacht! Und als sie damit aufhörten, sagten sie mir, sie würden mir die Fingernägel einzeln ausreißen und mich für zehn Jahre nach Sing-Sing bringen, weil ich mit meinen schwulen Radikalenfreunden wie Willy und Pauly hier auf irgendwelchen griechischen Inseln anarchistische Umsturzpläne geschmiedet hätte. Ich meine, jetzt reicht’s, Mädchen! Das ist erst der Anfang, und wir in diesem Raum sind in vorderster Front.«
    Sie hätten ihn so geohrfeigt, dass er sein eigenes Wort nicht mehr habe verstehen können, sagte er; er habe Straußeneier zwischen den Beinen, und sieh dir mal diese Schramme hier am Arm an! Vierundzwanzig Stunden lang hätten sie ihn eingebuchtet gehalten und sechs Stunden davon ausgequetscht. Sie hätten ihm angeboten zu telefonieren, aber kein Kleingeld gegeben, und als er das Telefonbuch verlangt habe, sei das verloren gegangen gewesen, und so habe er nicht mal seinen Agenten anrufen können. Dann hätten sie aus unerfindlichen Gründen die Anklage wegen unsittlichen Verhaltens in der Öffentlichkeit fallenlassen und ihn auf Kaution freigelassen.
    Unter den Anwesenden befand sich auch ein junger Mann namens Matthew, ein Buchhalterlehrling mit weichem Kinn, der hier nach den Alternativen des Lebens Ausschau hielt; und er hatte eine Wohnung. Zu seiner Überraschung ging Charlie mit ihm hin und schlief mit ihm. Für den nächsten Tag waren keine Proben angesetzt, und sie hatte vorgehabt, ihre Mutter zu besuchen, doch als sie gegen Mittag in Matthews Bett aufwachte, hatte sie einfach nicht den Mumm hinzufahren, und so rief sie sie an und sagte ab, und das schmiss wahrscheinlich die Polizei restlos, denn als sie am Abend vor der Goanesischen Kneipe ankam, standen schon ein Mannschaftswagen am Bürgersteig und ein uniformierter Wachtmeister in der offenen Tür und neben ihm der Koch, der sie mit asiatischer Verlegenheit angrinste.
    Es ist soweit, dachte sie ruhig. Wird auch allerhöchste Zeit. Endlich haben sie sich aus dem Dickicht hervorgewagt. Der Wachtmeister war der Zornige-Augen-kurz-geschorenes-Haar-Typ, der einen Rochus auf die ganze Welt hat, aber auf Inder und hübsche Mädchen ganz besonders. Vielleicht war es sein Hass, der ihn in diesem entscheidenden Augenblick des Dramas dafür blind machte, wer Charlie sein könnte.
    »Die Kneipe ist vorübergehend geschlossen«, fauchte er sie an. »Suchen Sie sich was anderes.«
    Trauer ruft besondere Reaktionen hervor. »Ist jemand gestorben?« fragte sie ängstlich.
    »Wenn ja - mir hat man jedenfalls nichts davon gesagt. Eine verdächtige Person ist beobachtet worden, die vermutlich einbrechen wollte. Meine Beamten gehen der Sache gerade nach. Und jetzt weiter!« Vielleicht hatte er schon zu lange Dienst und war müde. Vielleicht wusste er auch nicht, wie schnell ein impulsives Mädchen denken und sich ducken kann. Jedenfalls schoss sie unter

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