Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
Vom Netzwerk:
auf sie - zwar konnte sie spüren, wie ungeduldig sie waren, aber es hatte keinen Sinn, gleichfalls ungeduldig zu sein. Mehrmals war sie so weit, sich zu überlegen, was sie sagen könnte, aber ihre Stimme war sehr weit von ihr entfernt, und es schien keinen Sinn zu haben, sie zu holen. Helga sagte etwas auf deutsch, und obwohl Charlie kein Wort davon verstand, erkannte sie klar und deutlich, als wäre es ihre eigene Sprache, den Klang betroffener Resignation. Der dicke Mann antwortete und schien genauso perplex, aber nicht feindselig. Vielleicht - vielleicht nicht, schien er zu sagen. Sie hatte den Eindruck, als ob die beiden jede Verantwortung für sie von sich wiesen, während sie sie sich gegenseitig immer wieder zuschoben: ein bürokratisches Gerangel. Der Italiener mischte sich ein, doch Helga sagte ihm, er solle den Mund halten. Die Diskussion zwischen dem dicken Mann und Helga wurde wieder aufgenommen, und sie bekam das Wort logisch mit. Helga ist logisch. Oder Charlie ist es nicht. Oder dem dicken Mann wird gesagt, er solle es sein. Dann sagte der dicke Mann: »Wo haben Sie die Nacht verbracht, nachdem Sie Helga angerufen haben?« »Bei einem Liebhaber.« »Und die letzte Nacht?«
    »Bei einem Liebhaber.«
    »Einem anderen?«
    »Ja, aber es waren beides Polizisten.«
    Sie vermutete, dass Helga sie geschlagen hätte, wenn sie keine Brille aufgehabt hätte. Helga fuhr auf sie los, und ihre Stimme krächzte vor Wut, als sie einen Schwall von Befehlen auf sie niederprasseln ließ - sie solle nicht unverschämt sein, nicht lügen, auf alles sofort antworten und nicht sarkastisch werden. Wieder begannen die Fragen, und sie antwortete ermattet, ließ sich die Antworten Satz für Satz aus der Nase ziehen, denn letztlich ging es diese Leute überhaupt nichts an. Welche Zimmernummer in Nottingham? In Saloniki, welches Hotel? Waren sie schwimmen gewesen? Um welche Zeit waren sie angekommen, was hatten sie gegessen; was für Getränke hatten sie sich aufs Zimmer bringen lassen? Doch allmählich, als sie erst sich selbst und dann ihnen zuhörte, wurde ihr klar, dass sie, zumindest bis jetzt, gewonnen hatte - obwohl sie sie zwangen, die Sonnenbrille zu tragen, als sie ging, und sie aufzubehalten, bis sie sie ein beträchtliches Stück von dem Haus fortgebracht hatten.

Kapitel 21

    Bei ihrer Landung in Beirut regnete es, und sie wusste, dass es ein heißer Regen war, denn die Hitze, die von ihm ausging, drang in die Kabine, als sie noch kreisten, und ihre Kopfhaut juckte wieder von dem Färbemittel, mit dem sie auf Helgas Anweisung ihr Haar hatte behandeln müssen. Sie setzten über einer Wolke zur Landung an, die unter den Scheinwerfern der Maschine wie rot aufleuchtende Felsen aussah. Die Wolke hörte auf, sie flogen niedrig übers Meer, rasten auf die näher kommenden Berge zu, als sollten sie daran zerschellen. Sie hatte einen wiederkehrenden Alptraum, bei dem es genauso war, nur dass ihr Flugzeug eine von Menschen wimmelnde und von Wolkenkratzern gesäumte Straßenschlucht hinunterflog. Nichts konnte die Maschine aufhalten, denn der Pilot liebte sie gerade. Sie landeten glatt, die Türen gingen auf, und zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie die Düfte des Orients in der Nase, die sie wie eine Heimkehrerin begrüßten. Es war sieben Uhr abends, aber es hätte genauso gut drei Uhr morgens sein können; denn sie wusste sofort, dass dies keine Welt war, die schlafen ging. Der Tumult in der Ankunftshalle erinnerte sie an den Derby-Day vor den großen Ferien; es standen genug Bewaffnete in verschiedenen Uniformen herum, um einen eigenen Krieg zu führen. Ihre Schultertasche an die Brust gedrückt, ging sie auf die Schlange vor dem Schalter für Einreisende zu und stellte verwundert fest, dass sie lächelte. Ihr ostdeutscher Pass, ihre Verkleidung, die vor fünf Stunden auf dem Londoner Flughafen noch eine Frage von Leben und Tod für sie gewesen waren, in dieser Atmosphäre rastlosen und gefährlichen Drängens waren sie bedeutungslos.
    »Stell dich an der linken Schlange an, und wenn du deinen Pass zeigst, frag nach Mr. Mercedes«, hatte Helga ihr befohlen, als sie auf dem Parkplatz von Heathrow im Citroen gesessen hatten.
    »Und was passiert, wenn er mich mit einem Schwall Deutsch überfällt?«
    Die Frage war unter ihrer Würde. »Wenn du dich verirrst, nimm ein Taxi, fahr ins Commodore Hotel, setz dich ins Foyer und warte. Das ist ein Befehl. Mercedes - wie das Auto.«
    »Und dann?«
    »Charlie, ich finde wirklich,

Weitere Kostenlose Bücher