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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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trink einen Schnaps, das wird dir wieder Mut machen.«
    Das Feuer des Schnapses brannte noch in ihr, als sie den leeren Park erreichten. Der Teich war mit Eis bedeckt, frühes Dunkel senkte sich herab; die Abendluft prickelte von winzigen gefrorenen Wasserteilchen. Sehr laut schlug eine alte Glocke die Stunde. Eine zweite Glocke - kleiner und höher - bimmelte hinterher. Das grüne Cape fest Um sich gezogen, stieß Helga sofort einen Freudenruf aus. »Ach, Charlie, horch! Hörst du dieses kleine Glöckchen? Es ist aus Silber. Und weißt du auch, warum? Ich werd’s dir erzählen. Ein Reisender zu Pferd verirrte sich eines Nachts. Räuber waren unterwegs, es war schlechtes Wetter, und er war so froh, Freiburg zu sehen, dass er dem Münster eine silberne Glocke stiftete. Jetzt läutet sie jeden Abend. Ist das nicht bezaubernd?«
    Charlie nickte, versuchte zu lächeln, doch es gelang ihr nicht. Helga umschlang sie mit ihrem kräftigen Arm und hüllte sie in die Falten ihres Capes. »Charlie - hör zu! - soll ich dir noch eine Standpauke halten?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    Helga hielt Charlie immer noch an die Brust gedrückt, als sie einen Blick auf die Uhr warf und dann den Weg hinunter ins Halbdunkel schaute. »Und noch was zu diesem Park. Weißt du, was ich meine?« Ich weiß nur, dass es der zweitschlimmste Ort auf Erden ist. Und ich vergebe nie erste Preise.
    »Dann will ich dir noch eine Geschichte darüber erzählen. Ja? Im Krieg war hier ein Ganter.«
    »Was ist das, ein Ganter?«
    »Eine männliche Gans. Ein Gänserich. Und dieser Ganter war eine Luftschutz-Sirene. Wenn die Bomber kamen, war er der erste, der sie hörte, und wenn er schnatterte, gingen die Leute gleich in den Keller, ohne erst den offiziellen Alarm abzuwarten. Der Ganter starb, doch nach dem Krieg waren die Bürger so dankbar, dass sie ihm ein Denkmal errichteten. Da hast du Freiburg, wie es leibt und lebt. Ein Denkmal für ihren Bombenmönch, das andere für den Warner vor den Bombenangriffen. Sind sie nicht verrückt, diese Freiburger?« Helga wurde plötzlich ganz steif, warf abermals einen Blick auf die Uhr und spähte ins trübe Dunkel. »Da ist er«, sagte sie dann ganz ruhig und drehte sich um, um Lebewohl zu sagen.
    Nein , dachte Charlie. Helg, ich liebe dich, du kannst mich jeden Tag zum Frühstück haben, bloß zwing mich jetzt nicht, zu Khalil zu gehen.
    Helga legte die Hände flach auf Charlies Wangen und küsste sie sanft auf die Lippen.
    »Für Michel, ja?« Sie küsste sie nochmals, heftiger diesmal. »Für die Revolution und den Frieden und für Michel. Geh jetzt diesen Weg runter, da kommst du an ein Tor. Dort wartet ein grüner Ford. Setz dich hinten rein, direkt hinter den Fahrer.« Noch ein Kuss. »Ach, Charlie, hör zu, du bist einfach phantastisch. Wir werden immer Freundinnen sein.«
    Charlie schickte sich an, den Weg hinunterzugehen, blieb stehen, warf einen Blick zurück. Steif und eigentümlich pflichtbewusst im Dämmerlicht, stand Helga da und sah ihr nach. Ihr grünes Lodencape hing ihr um die Schultern wie bei einem Polizisten. Helga winkte - ein königliches Hinundherwedeln ihrer großen Hand. Charlie, vom Münsterturm bewacht, winkte zurück. Der Fahrer trug eine Pelzmütze, die sein Gesicht halb verbarg; außerdem hatte er den Pelzkragen seines Mantels hochgestellt. Er drehte sich nicht um und grüßte sie nicht, und sie konnte sich von ihrem Platz aus kaum eine Vorstellung davon machen, wie er aussah; der Linie seiner Wangenknochen nach zu urteilen, musste er jung sein; außerdem hatte sie den Verdacht, dass er Araber war. Er fuhr langsam, zuerst durch den abendlichen Stadtverkehr, dann aufs Land hinaus, über gerade schmale Straßen, auf denen noch Schnee lag. Sie kamen an einem kleinen Bahnhof vorüber, näherten sich einem Bahnübergang und blieben stehen. Charlie hörte das warnende Bimmeln einer Glocke und sah den hohen rot-weiß gestrichenen Schlagbaum erst zittern, dann sich allmählich senken. Ihr Fahrer schaltete in den zweiten Gang und raste über die Geleise; unmittelbar nachdem sie in Sicherheit waren, war die Schranke geschlossen.
    »Danke«, sagte sie und hörte ihn lachen - ein kehliges Perlen; zweifellos war er Araber. Er fuhr einen Berg hinauf und hielt den Wagen nochmals an, diesmal an einer Bushaltestelle. Er reichte ihr eine Münze.
    »Nimm einen Fahrschein für zwei Mark und den nächsten Bus in diese Richtung«, sagte er.
    Die jährliche Schnitzeljagd am Foundation Day , dachte sie; ein

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