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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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und er benutzte das Bett als Werkbank. Die Kissen hatte er auf den Boden neben den Karton geworfen, hatte sich Charlie auf die freie Stelle setzen lassen, während er arbeitete und die ganze Zeit über redete, teils mit sich selbst und teils mit ihr. Seine Stimme kannte nur den Angriff: ein Zustoßen und Vorwärtsdrängen von Gedanken und Worten.
    »Minkel soll ein netter Mensch sein. Vielleicht ist er das. Als ich über ihn las, habe ich mir auch gesagt - dieser alte Bursche, dieser Minkel, vielleicht hat der den Mumm, der dazugehört, diese Dinge zu sagen. Vielleicht würde ich ihn achten. Ich kann meinen Gegner achten. Kann ihn ehren. Damit habe ich keinerlei Probleme.« Nachdem er die Zwiebeln in eine Ecke geworfen hatte, fischte er mit der linken Hand eine Reihe kleiner Päckchen aus dem Karton, wickelte sie nacheinander aus, während er sie mit der rechten festhielt. Verzweifelt war Charlie bemüht, sich auf irgend etwas zu konzentrieren, und versucht, sich die einzelnen Dinge einzuprägen, gab es dann jedoch auf: zwei neue Taschenlampenbatterien in einer Doppelpackung aus dem Supermarkt, ein Zünder von der Art, wie sie sie während der Ausbildung im Fort benutzt hatte und bei dem rote Drähte aus dem angewürgten Ende hervorschauten. Federmesser. Zange. Schraubenzieher. Lötkolben. Eine Rolle dünner roter Draht, Heftklammern, Kupferfaden, Isolierband, Taschenlampenbirne, ein Sortiment Holzdübel. Und ein rechteckiges Brett aus weichem Holz, das als Sockel für das Ganze dienen sollte. Khalil nahm den Lötkolben, ging damit zum Waschtisch und steckte den Stecker in die Steckdose dort; plötzlich roch es nach versengtem Staub.
    »Denken denn die Zionisten an all die netten Leute, wenn sie ihre Bomben auf uns abwerfen? Ich glaube nicht. Wenn sie unsere Dörfer mit Napalmbomben belegen und unsere Frauen töten? Das bezweifle ich sehr. Ich glaube nicht, dass der terroristische israelische Pilot, wenn er da oben sitzt, sich sagt: ›Diese armen Zivilisten, diese unschuldigen Opfer.‹ « So redet er auch, wenn er allein ist, dachte sie. Und er ist viel allein. Er redet, um seinen Glauben lebendig zu erhalten und sein Gewissen zu beruhigen. »Ich habe viele Menschen getötet, die ich ohne Zweifel achten würde«, sagte er, wieder zurück am Bett. »Die Zionisten haben viel mehr umgebracht. Ich töte nur aus Liebe. Ich töte für Palästina und für seine Kinder. Versuch, auch so zu denken«, riet er ihr mit großem Ernst und unterbrach sich, als er sie anschaute. »Du bist nervös?«
    »Ja.«
    »Das ist natürlich. Auch ich bin nervös. Bist du im Theater auch nervös?« »Ja.«
    »Es ist dasselbe. Terror ist Theater. Wir regen an, wir jagen Angst ein, wir erwecken Abscheu, Zorn, Liebe. Wir erleuchten. Das Theater auch. Der Guerillakämpfer ist der große Schauspieler der Welt.« »Das hat Michel mir auch geschrieben. In seinen Briefen.« »Aber er hatte es von mir. Es war meine Idee.«
    Das nächste Päckchen war in Ölpapier eingewickelt. Er machte es mit Respekt auf. Drei Halbpfund-Stäbe von russischem Plastik.
    Stolz legte er sie an den ihnen gebührenden Platz in die Mitte der Daunendecke.
    »Die Zionisten töten aus Angst und aus Hass«, verkündete er. »Wir Palästinenser hingegen aus Liebe und um der Gerechtigkeit willen. Vergiss den Unterschied nicht. Er ist wichtig.« Wieder sein Blick, rasch und herrisch. »Wirst du dich daran erinnern, wenn du Angst hast? Wirst du dir sagen: ›um der Gerechtigkeit willen‹? Wenn du das tust, hast du keine Angst mehr.«
    »Und um Michels willen«, sagte sie.
    Er war nicht ganz zufrieden. »Und um seinetwillen natürlich auch«, räumte er ein und schüttelte aus einer braunen Tüte zwei Wäscheklammern auf das Bett, hielt sie dann in den Lichtschein der Nachttischlampe, um ihre einfachen Mechanismen miteinander zu vergleichen. Nun, da sie ihn so von nahem betrachten konnte, bemerkte sie ein Stück runzliger weißer Haut, dort wo Backe und Ohrläppchen miteinander verschmolzen und wieder abgekühlt zu sein schienen.
    »Warum hast du die Hände vors Gesicht geschlagen, bitte?« erkundigte sich Khalil aus Neugier, nachdem er die bessere der beiden Wäscheklammern ausgewählt hatte.
    »Ich war einen Moment müde«, sagte sie.
    »Dann wach auf. Du musst hellwach sein für deinen Auftrag. Und für die Revolution. Du kennst diesen Bombentyp? Hat Tayeh ihn dir erklärt?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht hat Bubi es getan.«
    »Dann pass auf.« Er setzte sich neben sie aufs

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