Die Libelle
sind, lassen sie uns in der Wüste liegen. Ich bin froh. Jedenfalls sterben wir in der Wüste. Aber wir sterben nicht. Eine Patrouille unserer Kommandos findet uns. Drei Monate liegen Khalil und Tayeh nebeneinander im Lazarett. Schneemänner. In Gips. Wir führen manch gutes Gespräch miteinander, wir werden gute Freunde, wir lesen einige gute Bücher zusammen.«
Nachdem er die Streifen schön zu militärischen Stapeln aufeinander geschichtet hatte, wandte Khalil sich jetzt Minkels billiger schwarzer Aktenmappe zu, die - wie ihr zum ersten Mal auffiel - von der Rückseite her geöffnet worden war, und zwar an den Scharnieren; die Schlösser vorn waren immer noch fest geschlossen. Nacheinander legte er die zusammengelegten Streifen in die Tasche, bis er eine weiche Unterlage für die Bombe geschaffen hatte.
»Weißt du, was Tayeh eines Abends zu mir gesagt hat?« fragte er dabei. »›Khalil‹ , sagte er, ›wie lange wollen wir noch die netten Jungs spielen? Kein Mensch hilft uns, kein Mensch dankt uns. Wir halten große Reden, wir schicken gute Redner in die Vereinten Nationen, und wenn wir noch fünfzig Jahre warten, vielleicht wird dann unseren Enkelkindern - falls sie so lange leben - ein kleines bisschen Gerechtigkeit zuteil.‹ « Er unterbrach sich und zeigte ihr mit den Fingern seiner heilen Hand, wie viel. »›Inzwischen bringen uns unsere arabischen Brüder um, die Zionisten, die Falangisten, und diejenigen, die am Leben bleiben, gehen in die Diaspora. Wie die Armenier. Wie die Juden selbst.‹ « Jetzt wurde er listig. »›Aber wenn wir ein paar Bomben herstellen - ein paar Menschen umbringen -, wenn wir auch nur für zwei Minuten in der Geschichte der Menschheit eine Schlächterei veranstalten…‹ « Ohne den Satz zu beenden, nahm er die Bombe und legte sie feierlich und mit großer Präzision in die Mappe.
»Eigentlich brauche ich eine Brille«, erklärte er lächelnd und schüttelte dann den Kopf wie ein alter Mann. »Aber wo sollte ich mir eine holen - ein Mann wie ich?«
»Wenn du gefoltert worden bist wie Tayeh, warum humpelst du dann nicht wie Tayeh?« erkundigte sie sich, und ihre Stimme wurde plötzlich laut vor Nervosität.
Vorsichtig drehte er die Glühbirne aus dem Draht heraus und ließ die angeschnittenen Enden für den Zünder frei. »Der Grund, warum ich nicht hinke, liegt darin, dass ich zu Gott um Kraft gebetet habe. Gott hat sie mir gegeben, damit ich gegen den echten Feind kämpfe und nicht gegen meine arabischen Brüder.«
Er reichte ihr den Zünder und sah beifällig zu, wie sie ihn an den Stromkreis anschloss. Als sie fertig war, nahm er den übrig gebliebenen Draht, wickelte ihn sich mit kräftiger, fast unbewusster Bewegung wie Wolle um die toten Finger seiner rechten Hand, bis ein kleiner Strang entstand.
Er nahm ihn dann und wand das Ende zweimal wie einen Gürtel um die Mitte.
»Weißt du, was Michel mir vor seinem Tod geschrieben hat? In seinem letzten Brief?«
»Nein, Khalil, das weiß ich nicht«, erwiderte sie und sah zu, wie er die Drahtdocke in die Tasche warf.
»Bitte?«
»Nein. Ich habe nein gesagt. Ich weiß es nicht.« »Den er nur wenige Stunden vor seinem Tod abgeschickt hat? ›Ich liebe sie. Sie ist nicht wie die anderen. Gewiss, als ich sie kennenlernte, hatte sie das erstarrte Gewissen einer Europäerin - hier, zieh mal die Uhr auf, bitte - ›außerdem war sie eine Hure. Doch jetzt ist sie in ihrer Seele eine Araberin, und eines Tages werde ich sie unserem Volk und dir vorführen.‹ «
Blieb noch die mechanische Zündung, und um sie herzustellen, mussten sie noch inniger zusammenarbeiten, denn er verlangte von ihr, dass sie ein Ende Stahldraht durch das Material der Klappe führte, dann hielt er selbst die Klappe so niedrig wie möglich, während ihre kleinen Hände den Draht bis zum Dübel in der Wäscheklammer führten. Äußerst behutsam trug er den ganzen Mechanismus nochmals zum Waschbecken hinüber, drehte ihr den Rücken zu und machte die Scharniernadeln mit einem Tropfen Lötmasse auf jeder Seite wieder fest. Sie hatten die Linie überschritten, hinter der es kein Zurück mehr gibt.
»Weißt du, was ich Tayeh eines Tages gesagt habe?«
»Nein.«
»›Tayeh, mein Freund, wir Palästinenser sind ein sehr träges Volk im Exil. Warum haben wir keine Palästinenser im Pentagon? Im State Department? Warum steht die New York Times noch nicht unter unserer Leitung, die Wall Street, der CIA? Warum drehen wir keine Hollywoodfilme über unseren
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