Die Libelle
und sie hatte ihren Fischmarkt-Ton eingesetzt. Wenn sie überhaupt sahen, dass sich in Josephs Gesicht etwas zeigte, dann war es die große Aufmerksamkeit, mit der er Charlie beobachtete.
»Also, was genau möchtest du wissen, Charlie?« fragte er sie nach dem üblichen nachdenklichen Abwarten. »Erst einmal wirst du ja wohl einen Namen haben, oder?«
»Ihr habt mir einen gegeben. Joseph.« »Und wie heißt du richtig?«
Bestürztes Schweigen hatte sich über das ganze Restaurant gelegt, und selbst diejenigen, die Charlie vorbehaltlos liebten wie Willy und Pauly, fanden, dass ihre Treue zu ihr überbeansprucht wurde.
»Richthoven«, erwiderte er schließlich, als ob er aus einer ganzen Reihe von Möglichkeiten wählte. »Wie der Flieger, nur mit v : Richthoven«, wiederholte er geradezu genüsslich, als finde er Geschmack an der Vorstellung. »Macht mich das jetzt zu einem anderen Menschen? Wenn ich so ein verruchter Kerl bin, wie du meinst, warum solltest du mir dann jetzt glauben?«
»Richthoven - und? Wie heißt du mit Vornamen?« Wieder eine Pause, ehe er sich entschloss.
»Peter. Aber Joseph ist mir lieber. Wo ich wohne? In Wien. Aber ich reise viel. Willst du meine Adresse? Ich geb’ sie dir. Leider wirst du mich nicht im Telefonbuch finden.«
»Du bist also Österreicher.«
»Charlie. Bitte. Sagen wir, ich bin eine Promenadenmischung mit europäischem und nahöstlichen Einschlag. Stellt dich das zufrieden?«
Mittlerweile ging die Gruppe unter peinlich berührtem Gemurmel zu Joseph über: »Aber, Charlie, um Himmels willen -lass doch, Chas, du stehst nicht auf dem Trafalger Square, Chas, ehrlich.« Doch Charlie blieb nichts anderes übrig, als weiterzumachen. Sie warf den Arm über den Tisch und schnippte mit den Fingern sehr laut vor Josephs Nase. Einmal und dann noch einmal, so dass mittlerweile jeder Kellner und jeder Gast in der Taverne sich umgedreht hatte und beobachtete, was dort los war.
»Deinen Pass, bitte! Los, schick ihn mal rüber. Erst hast du Als für ihn aufgetrieben, jetzt lass uns deinen sehen. Geburtstag, Augenfarbe, Staatsangehörigkeit. Gib schon her!«
Erst blickte er auf ihre ausgestreckten Finger herunter, die in diesem Winkel etwas hässlich Zudringliches hatten. Dann hinauf in ihr gerötetes Gesicht, wie um sich zu vergewissern, worauf sie eigentlich hinauswollte. Schließlich lächelte er, und für Charlie war dieses Lächeln wie ein leichter, gemächlicher Tanz auf der Oberfläche eines tiefen Geheimnisses, der sie mit seinen Anmaßungen und Auslassungen verspottete.
»Tut mir leid, Charlie. Ich finde, wir Bastarde haben eine tiefsitzende - ich würde sagen, eine historisch bedingte -Abneigung dagegen, unsere Identität durch ein Stück Papier definieren zu lassen. Aber als jemand, der so progressiv ist wie du, verstehst du doch meine Einstellung?«
Er nahm ihre Hand in die seine und schob sie - nachdem er die Finger vorsichtig mit der anderen Hand in die Handfläche gebogen hatte - zurück auf ihre Seite.
Charlie und Joseph traten ihre Reise durch Griechenland in der Woche darauf an. Wie andere erfolgreiche Anträge war auch dies einer, der genau genommen nie gemacht wurde. Sie löste sich vollständig von der Gruppe, und machte es sich zur Gewohnheit, schon früh in die Stadt hinunterzugehen, solange es noch kühl war, und den Tag in zwei oder drei Tavernen zu vertrödeln, griechischen Kaffee zu trinken und ihren Text von Wie es euch gefällt zu lernen, mit dem sie im Herbst im Westen Englands auf Tournee gehen sollte. Als sie merkte, dass sie angestarrt wurde, blickte sie auf, und da stand, direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite, Joseph, war gerade eben aus der Pension getreten, in der er, wie sie entdeckt hatte, wohnte: Richthoven, Peter, Zimmer 18, allein. Es war, wie sie sich hinterher einredete, reiner Zufall, dass sie sich genau zu der Stunde, da er herauskommen musste, um zum Strand hinunterzugehen, ausgerechnet diese Taverne ausgesucht und sich dort niedergelassen hatte. Als er sie sah, kam er herüber und setzte sich neben sie.
»Hau ab!« sagte sie.
Lächelnd bestellte er sich einen Kaffee. »Ich fürchte, ab und zu sind deine Freunde etwas schwer zu verknusen«, gestand er. »Es bleibt einem nichts anderes übrig, als in der Namenlosigkeit der Menge unterzutauchen.«
»Das kann man wohl sagen«, erklärte Charlie. Er sah nach, was sie las, und ehe sie sich’s versah, unterhielten sie sich angeregt über die Rolle der Rosalinde, gingen sie
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