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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Dann könnten wir zusammen reisen«, erklärte er, als wäre das die Lösung, auf die sie beide aus gewesen wären.
    Sie sagte überhaupt nichts. In ihrem Inneren lag jeder Teil ihres Wesens mit dem anderen im Widerstreit: Das Kind kämpfte gegen die Mutter, die Nutte gegen die Nonne. Ihre Sachen fühlten sich rau auf der Haut an, und der Rücken brannte; trotzdem hatte sie immer noch nichts dazu zu sagen. »Ich muss heute in einer Woche in Saloniki sein«, erklärte er. »Wir könnten uns in Athen einen Leihwagen nehmen, Delphi mitnehmen und für ein paar Tage nach Norden fahren - warum nicht?« Ihr Schweigen machte ihm überhaupt nichts aus. »Wenn wir es richtig planen, dürften uns die Touristenströme nicht allzusehr stören, falls es das ist, was du fürchtest. Und wenn wir nach Saloniki kommen, nimmst du die Maschine nach London. Wir könnten uns auch beim Fahren abwechseln, wenn du gern möchtest. Ich hab’ von allen Seiten gehört, was für eine gute Autofahrerin du bist. Und selbstverständlich würdest du mein Gast sein.«
    »Selbstverständlich«, sagte sie.
    »Warum also nicht?«
    Sie dachte an all die Gründe, die sie sich genau für diesen Augenblick oder einen ähnlichen zurechtgelegt hatte und die sie vorbringen könnte, an all die markigen Sätze, auf die sie zurückgriff, wenn ältere Männer sich an sie heranmachten. Sie dachte an Alastair, daran, wie langweilig es mit ihm überall war außer im Bett und in jüngster Zeit sogar dort. An das neue Kapitel in ihrem Leben, das sie sich selbst versprochen hatte. Sie dachte an den freudlosen Weg, auf dem sie jeden Penny umdrehen und für Kollegen einspringen musste und der sie erwartete, wenn sie ohne irgendwelche Ersparnisse nach England zurückkehrte; Joseph hatte sie zufällig oder hellsichtig daran erinnert. Sie blickte ihn wieder von der Seite an und entdeckte nirgends auch nur das geringste, was man als inständiges Bitten auslegen konnte: warum nicht ? - und damit hatte sich’s. Sie dachte an seinen glatten und kraftvollen Körper, wie er einsam durchs Wasser eine Furche zog: warum nicht ? Sie dachte daran, wie seine Hand sie gestreift hatte, dachte an den ängstlichen Ton des Erkennens in seiner Stimme: › Tag, Charlie ‹ - und das bezaubernde Lächeln, das sie seither kaum jemals wieder bei ihm gesehen hatte. Und sie dachte daran, wie oft es ihr durch den Kopf gegangen war, dass, wenn er jemals alle Hemmungen fahren ließ, der Knall ohrenbetäubend sein würde, und schließlich war es ja das gewesen, wie sie sich sagte, was sie vor allem zu ihm hingezogen hatte.
    »Aber die anderen dürfen nichts davon erfahren«, brummte sie, den Kopf über ihr Glas gebeugt. »Das musst du irgendwie deichseln. Die würden sich sonst ausschütten vor Lachen.«
    Daraufhin erklärte er munter, er werde morgen früh abreisen und alles in die Wege leiten: »Und natürlich, wenn du deine Freunde wirklich im dunkeln lassen willst...«
    Ja, das wolle sie, verdammt noch mal!
    Dann, sagte Joseph im selben praktischen Tonfall, schlage er folgendes vor. Ob er den Plan im Voraus vorbereitet hatte oder ob das nur seine Art zu denken war, vermochte sie nicht zu sagen. So oder so, sie war dankbar für seine Präzision, wenn ihr auch hinterher aufging, dass sie damit gerechnet hatte.
    »Du fährst zusammen mit deinen Freunden nach Piräus. Das Schiff legt dort normalerweise am späten Nachmittag an; könnte aber sein, dass es in dieser Woche durch Streiks später wird als sonst. Kurz bevor das Schiff in den Hafen einläuft, sagst du ihnen dann, du hättest vor, dich noch für ein paar Tage allein auf dem Festland umzusehen. Einer dieser spontanen Entschlüsse, für die du berühmt bist. Bind es ihnen nicht zu früh auf die Nase, sonst versuchen sie die ganze Überfahrt über, es dir auszureden. Und sag ihnen nicht zuviel, das ist ein Zeichen für ein schlechtes Gewissen«, fügte er noch mit der Autorität dessen hinzu, der mal eins hatte. »Und was ist, wenn ich pleite bin?« sagte sie, ehe sie Zeit hatte, darüber nachzudenken, denn wie gewöhnlich hatte Alastair nicht nur von seinem, sondern auch noch von ihrem Geld gelebt. Trotzdem hätte sie sich die Zunge abbeißen mögen; hätte er ihr in diesem Augenblick Geld angeboten, sie hätte es ihm ins Gesicht geschleudert. Doch das schien er zu spüren.
    »Wissen sie denn, dass du pleite bist?«
    »Natürlich wissen sie das nicht.«
    »Dann, würde ich meinen, haut das mit deiner Tarngeschichte hin.« Und als ob damit alles

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