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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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andere Weise vorgeworfen hatte.
    »Ich hab’ dir doch gesagt, du sollst die Sachen in deine Scheiß-Tasche stecken, du blöde Kuh. Sie haben doch dagelegen, auf der Theke in der Ticket-Verkaufsstelle. Und ich hab’s dir aufgetragen, hab’s dir gesagt, ja, dir befohlen : ›Nimm sie an dich und steck sie in deine Schultertasche, Charlie!‹ Denn die boys , wenn sie nicht gerade dreckige kleine Tunten mit einer dreckigen Phantasie sind wie Willy und Pauly, sind nämlich keine Handtaschenträger, Darling, stimmt’s nicht, Darling? Wo bist du also hin, und wo hast du sie hin, Mädchen, wo? Damit hältst du einen Mann wie mich nicht davon ab, seinem Schicksal entgegenzufliegen, glaub mir! Damit kannst du einen Scheiß-Chauvi nicht bremsen, und wenn du noch so eifersüchtig bist, dass mich armes Schwein das Glück getroffen hat. Ich muss zu Hause nämlich arbeiten , mein Täubchen, muss gewisse Hochburgen einnehmen und so.« Gerade als ihr Streit auf dem Höhepunkt war, hatte Joseph seinen Auftritt. Von woher eigentlich, schien keiner zu wissen - jemand sei einfach unauffällig ins Licht getreten, wie Pauly es ausdrückte. Soweit sich hinterher feststellen ließ, trat er von links auf - oder in anderen Worten vom Strand her. Jedenfalls stand er plötzlich da, in seinem bunten Bademantel und die Golfkappe ins Gesicht gezogen, hielt in der Hand Alastairs Pass, Alastairs Brieftasche und Alastairs nagelneues Flugticket, die er offenbar alle unten am Fuß der Tavernentreppe vom Sand aufgehoben hatte. Ausdruckslos und höchstens ein wenig verdattert betrachtete er die Szene zwischen den streitenden Liebenden und wartete wie ein vornehmer Bote, bis er ihre Aufmerksamkeit erregte. Dann legte er seine Funde auf den Tisch, einen nach dem anderen. Kein Laut plötzlich in der ganzen Taverne, außer dem leisen Knall, den es jedesmal gab, als er sie nacheinander auf den Tisch fallen ließ. Schließlich sprach er. »Entschuldigt, aber ich hab’ so eine Ahnung, als ob jemand dies hier bald vermissen könnte. Eigentlich sollte man ja ohne diese Sachen im Leben auskommen, finde ich, aber ich fürchte, das könnte zu beträchtlichen Schwierigkeiten führen.«
    Keiner außer Lucy hatte seine Stimme bisher gehört, und Lucy war zu bedudelt gewesen, um die Betonung oder irgend etwas sonst daran zu bemerken. Folglich hatten sie keine Ahnung von seinem tadellosen, wenn auch etwas umständlichen Englisch gehabt, aus dem auch noch der letzte kleine ausländische Knitter herausgebügelt war. Hätten sie eine Ahnung davon gehabt, sie hätten ihn bestimmt nachgeäfft. Erst waren sie verwundert, dann lachten sie, dann waren sie dankbar. Sie baten ihn, sich zu ihnen zu setzen. Joseph wehrte ab, und sie gerieten ins Kreischen. Er war Mark Anton vor der lärmenden Menge: Sie brachten ihn dazu, sich zu setzen. Er betrachtete sie eingehend; sein Blick erfasste Charlie, wanderte dann weiter und kehrte zu Charlie zurück. Schließlich streckte er mit einwilligendem Lächeln die Waffen. »Nun, wenn ihr unbedingt wollt«, sagte er. Lucy, die ja schon eine alte Freundin von ihm war, umarmte ihn. Pauly und Willy teilten sich in die Honneurs. Jedes Familienmitglied war nacheinander seinem klaren Blick ausgesetzt, und plötzlich begegneten Charlies harte blaue Augen Josephs braunen, stand Charlies wütende Verwirrung gegen Josephs vollkommene Gefasstheit, die nicht den geringsten Triumph durchschimmern ließ - von der nur sie allein wusste, dass sie eine Maske war, hinter der er ganz andere Gedanken und Beweggründe verbarg.
    »Tag, Charlie, wie geht’s?« sagte er ruhig, und sie gaben sich die Hand.
    Kurzes Schweigen wie auf der Bühne, dann - als wäre es endlich aus der Gefangenschaft entlassen und schwinge sich zum erstenmal zu freiem Flug auf - ein breites Lächeln, jung wie das eines Schuljungen und doppelt so ansteckend. »Und ich hab’ gedacht, Charlie sei ein Jungenname«, wandte er ein.
    »Ich bin aber ein Mädchen«, sagte Charlie, und alle einschließlich Charlie lachten, ehe sich sein strahlendes Lächeln ebenso plötzlich wieder hinter die Linien seines Eingesperrtseins zurückzog, wie es ausgebrochen war.
    Für die Tage, die der Familie noch blieben, wurde Joseph zu ihrem Maskottchen. In ihrer Erleichterung über Alastairs Abflug nahmen sie ihn von ganzem Herzen in ihrem Kreis auf. Lucy gab ihm zu verstehen, dass sie zu haben sei, doch er lehnte höflich, sogar mit Bedauern ab. Sie gab die traurige Nachricht an Pauly weiter, der sich eine

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