Die Libelle
nur Mitschnitte von jedem einzelnen ihrer kleineren Fernsehauftritte besorgt, die sie gehabt hatte, nein, sie hatten sich sogar die Mühe gemacht, bei einem früheren Englandaufenthalt ins scheußliche Nottingham hinaufzufahren, um sie als Heilige Johanna zu sehen.
»Nun, ich muss schon sagen, Sie haben es faustdick hinter den Ohren!« rief Ned, als der Kellner die Teller abräumte und den Tisch für den Entenbraten deckte. »Wenn Sie mich angerufen hätten, ich hätte Sie persönlich hingefahren, oder Marjory. Sind Sie denn hinterher zu ihr gegangen und haben sie zum Essen ausgeführt? Nein? Nun, da laust mich doch der Affe!«
Kurtz gestattete sich ein kurzes Zögern, doch dann wurde seine Stimme sehr ernst. Er warf seinem Partner - Litvak -einen fragenden Blick zu, der ihm kaum merklich ermutigend zunickte. »Ned«, sagte er, »ehrlich gesagt hielten wir das unter den gegebenen Umständen für nicht recht angemessen.«
»Was für Umständen denn?« wollte Ned wissen, der annahm, es gehe um etwas, das mit dem Ehrenkodex von Agenten zu tun habe. »Du liebe Güte, so sind wir hier drüben doch nicht! Wenn Sie ihr ein Angebot machen wollen - tun Sie’s! Dazu brauchen Sie doch nicht erst mein Einverständnis! Ich komm’ schon eines Tages zu meiner Kommission, nur keine Sorge!«
Dann verstummte Ned, weil die beiden so verdammt ernste Mienen machten, wie er Marjory erzählte. Als ob sie verdorbene Austern geschluckt hätten. Mit Schale.
Litvak tupfte sich sorgfältig die Lippen ab. »Dürfte ich Ihnen eine Frage stellen, Sir?«
»Aber, mein lieber Junge, warum nicht?« sagte Ned, der überhaupt nicht mehr wusste, was er von alldem halten sollte.
»Würden Sie uns bitte - nach Ihrer eigenen Einschätzung -sagen, wie Charlie sich bei Interviews macht?« Ned setzte das Rotweinglas ab. »Bei Interviews? Ah, falls Sie da Bedenken haben - da kann ich Sie beruhigen. Glauben Sie mir, sie gibt sich ganz natürlich. Erstklassig. Weiß genau, was die Leute von der Presse wollen, und wenn es im Bereich ihrer Möglichkeiten liegt, bekommen sie es auch von ihr. Sie ist ein regelrechtes Chamäleon. Hat in letzter Zeit zwar nicht viel Gelegenheit gehabt, interviewt zu werden, das will ich gern zugeben, doch das holt sie schnell wieder auf. Was das betrifft, brauchen Sie wirklich keine Angst zu haben.« Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas, um es auf sie wirken zu lassen. »Nein, wirklich nicht.«
Doch Litvak schien nicht, wie Ned gehofft hatte, ein Stein vom Herzen gefallen zu sein. Missbilligend und besorgt schürzte er die Lippen wie zu einem Kuss und fing an, mit seinen langen Fingern Krumen auf dem Tischtuch zusammenzufegen. So dass Ned sich veranlasst sah, den Kopf zu senken und auf die Seite zu legen, um ihn aus seinem Trübsinn herauszuholen: »Aber mein lieber Freund«, protestierte er unsicher. »Machen Sie doch nicht so ein Gesicht! Was soll denn daran auszusetzen sein, dass sie sich bei Interviews gut macht? Mädchen, die so was jedes Mal verpatzen, laufen genug herum! Wenn es das ist, was Sie suchen, davon kann ich Ihnen jede Menge liefern.«
Doch damit konnte er Litvaks Wohlwollen nicht gewinnen. Seine einzige Reaktion bestand dann, dass er flüchtig den Blick zu Kurtz hob, als wollte er sagen ›Ihr Zeuge‹ , um ihn gleich darauf wieder aufs Tischtuch zu senken. »Ein reines Zwei-Personen-Stück«, sagte Ned hinterher kläglich zu Marjory. »Man hatte das Gefühl, sie könnten im Handumdrehen die Rollen tauschen.« »Ned«, sagte Kurtz, »wenn wir Ihre Charlie für dieses Projekt unter Vertrag nehmen, dann wird sie wahnsinnig viel im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stehen, das kann ich Ihnen flüstern. Wenn sie erstmal dabei ist, dann wird sie mit ihrem ganzen Leben konfrontiert werden. Nicht nur mit ihrem Liebesleben, ihrer Familie, ihrem Geschmack, ihren Lieblings-Pop-Stars und Lieblings-Dichtern. Und nicht nur mit der Geschichte ihres Vaters. Sondern auch mit Religion, ihren Einstellungen und Meinungen.« »Auch ihren politischen Einstellungen«, flüsterte Litvak und schob eine letzte Krume auf den kleinen Haufen. Ned verging daraufhin leicht, aber unmissverständlich ein wenig der Appetit, so dass er Messer und Gabel hinlegte, während Kurtz nicht zu bremsen war: »Ned, bei den Geldgebern, die sich für unser Projekt interessieren, handelt es sich um Amerikaner - schlichte Gemüter aus dem Mittleren Westen. Tugendhafter geht’s gar nicht. Sie haben zuviel Geld, undankbare Kinder, zweiten
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