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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Mädchen bin ich immer auf der Suche.« Der Ausdruck war in Wirklichkeit ein Erbe seines Vaters. »Gleich nachdem der Vorhang gefallen war, bin ich in ihre Garderobe - falls man so was Garderobe nennen will -, spulte meine Pygmalionrolle ab und nahm sie auf der Stelle unter Vertrag. Erst wollte sie mir nicht glauben. Hielt mich für einen schmutzigen alten Bock. Musste doch tatsächlich nach Hause und Marjory zu Hilfe holen, um sie zu überreden. Ha!«
    »Und was geschah danach?« erkundigte sich Kurtz höflich und reichte ihm noch etwas Roggenbrot und Butter. »Alles Jubel, Trubel, Heiterkeit?«
    »Oh, keineswegs!« wehrte Ned arglos ab. »Mit ihr war es genauso wie mit vielen anderen in ihrem Alter. Kommen frisch und blauäugig und viel versprechend aus der Schauspielschule, bekommen ein paar Rollen, fangen an, sich eine Wohnung oder sonst was Dummes zu kaufen, und dann hört bei ihnen plötzlich alles auf. Zwielicht-Zeit nennen wir das. Manche stehen sie durch und schaffen es, andere nicht. Cheers !«
    »Charlie aber wohl«, soufflierte Litvak und trank einen Schluck Tee.
    »Sie gab nicht auf. Hielt durch. Leicht war es nicht, aber das ist es nie. In ihrem Fall hat es Jahre gedauert - zu viele Jahre.« Er war überrascht, als er entdeckte, wie gerührt er war. Und ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, waren sie es auch. »Wie dem auch sei - jetzt hat sie es jedenfalls geschafft, nicht wahr? Ac h, wie mich das für sie freut. Wirklich. Ja, bestimmt.«
    Und dann sei noch etwas merkwürdig gewesen, erzählte Ned Marjory hinterher. Vielleicht habe aber auch nur alles wieder von vorn angefangen. Er sprach von der Art und Weise, wie die beiden Männer im Verlauf des Tages die Charaktere geändert hätten. Zuerst, im Büro, sei er kaum zu Wort gekommen. In The Ivy jedoch hätten sie ihn ins Rampenlicht gestellt, hätten ihn aufmunternd nickend seine Verse aufsagen lassen, fast ohne je ein Wort unter sich zu wechseln. Und hinterher - nun hinterher, das sei, verflixt noch mal, etwas ganz anderes gewesen.
    »Schaurige Kindheit, versteht sich«, erzählte Ned stolz. »Das ist bei vielen von den Mädchen der Fall, wie mir aufgefallen ist. Das bringt sie ja vor allem dazu, sich der Phantasie zuzuwenden. Sich nichts anmerken lassen. Gefühle verbergen. Menschen nachmachen, die glücklicher aussehen als man selbst. Oder noch unglücklicher. Ihnen ein bisschen was stehlen - darum geht es doch zur Hälfte bei der ganzen Schauspielerei. Elend. Diebstahl. Ich rede zuviel. Nochmals - cheers! «
    »Schaurig in welcher Beziehung, Mr. Quilley?« fragte Litvak respektvoll wie jemand, der das ganze Problem der Schauerlichkeit untersucht. »Charlies Kindheit. Wieso schaurig, Sir?« Ohne auf das zu achten, was er später als zunehmenden Ernst nicht nur in Litvaks Benehmen, sondern auch in Kurtz’ Blick bemerkte, vertraute Ned ihnen an, was er zufällig im Verlauf von kleinen Essenseinladungen oben im Bianchi’s erfahren hatte, wo sie ihm ihr Herz ausschüttete und wohin er sie alle ausführte. Die Mutter eine dumme Pute, sagte er. Der Vater eine Art Obergauner, ein Börsenmakler, mit dem es immer weiter bergab gegangen und der jetzt glücklicherweise tot sei, einer von diesen abgefeimten Lügnern, die sich einbilden, der liebe Gott hätte ihnen die Asse dutzendweise in den Ärmel gesteckt. Sei ins Kittchen gewandert und dort gestorben. Erschreckend.«
    Wieder war es Litvak, der mit einer ganz harmlosen Zwischenfrage kam: »Im Gefängnis gestorben, haben Sie gesagt, Sir?«
    »Und dort sogar begraben! Die Mutter war so verbittert, dass sie kein Geld dafür verschwenden wollte, ihn draußen anständig unter die Erde zu bringen.«
    »Hat Ihnen das Charlie selbst erzählt, Sir?« Quilley wusste nicht, was er von dieser Frage halten sollte. »Ja, wer sonst sollte es mir erzählt haben?«
    »Nichts um die Richtigkeit zu bestätigen, Sir? Von unbeteiligter Seite? Bei Schauspielerinnen weiß man nie...« Doch Kurtz kam ihm mit einem väterlichen Lächeln zu Hilfe.
    »Ned, hören Sie einfach nicht auf ihn«, riet er ihm. »Mike hat nun mal eine sehr misstrauische Ader - nicht wahr, Mike?«
    »Vielleicht hab’ ich das wirklich«, räumte Litvak mit einer Stimme ein, die nicht lauter war als ein Seufzer.
    Erst da dachte Ned daran, sie danach zu fragen, worin sie sie denn gesehen hätten, und zu seiner freudigen Überraschung stellte sich heraus, dass sie bei ihren Erkundungen wirklich sehr gründlich vorgegangen waren. So hatten sie sich nicht

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