Die Liebe am Nachmittag
das prächtige Stadtbild zu betrachten, in die Weite zu schauen, wo sich im bläulichen Dunst Újpest und Kőbánya verlieren, wo scheinbar das Meer beginnt. Sie hatte ein winterliches Strohhütchen auf dem Kopf, trug ein Pelzjäckchen und einen braunen Rock. Ich achtete bei unserem Bummel darauf, dass wir nicht einmal zufällig auf die Welt, die Menschen und auch nicht auf uns zu sprechen kamen; nichts sollte dieses heimliche Aufkeimen stören, das sich gerade in meinem Herzen vollzog. Ein sensibler Prozess, wie wenn eine Pfütze gerade im Begriff ist zuzufrieren, da reicht es schon, wenn ein Kind nur mit dem Fingernagel hineinfährt, um alles kaputt zu machen. Ich habe sie mit dem beschäftigt, was wir vor Augen hatten: mit dem Wasser, dem Himmel und der Erde, die unter unseren Füßen schwitzt, weil sie Fieber hat, und mit den winzigen Gärtchen, die überall zwischen die Häuser geklemmt sind, den Tauben, die über die Dächer spazieren, mit den so reglos in den Fenstern sitzenden Katzen, als wären sie aus Porzellan. Für die alte Frau in der Fensternische, die Flicken aufnäht und uns kurz den Blick zuwendet, für den greisen Mann am Fenster, der Pfeife raucht und seinen Kopf kaum merklich in unsere Richtung dreht, sind wir eine Sehenswürdigkeit, und sie haben wohl auch ihre Hintergedanken dabei, wenn sie bemerken, dass sich ein Mann und eine Frau hier an diesem Vorfrühlingstag herumdrücken. Selbst die Katze registiert uns und merkt sich für ein paar Augenblicke unsere Gesichter. Vielleicht ahnt sogar sie, was die beiden Menschen dort unterhalb der Burgmauer suchen, denn die Katzen von Buda sehen viele Jünglinge undMädchen, Männer und Frauen in inniger Zweisamkeit hier flanieren.
Diese kostbare Luft zu atmen tat wohl, und ich vergaß, an meiner Zigarette zu ziehen. Als ich sie dann zwischen den Fingern spürte, ließ ich mir etwas einfallen und warf sie weg.
Ich sagte, dass ich sie wegwürfe, weil es ungehörig sei, in diesem Augenblick noch etwas anderes zu genießen als ihre Nähe.
Das hat ihr sehr gefallen.
»Auch ich will mir jetzt keine Zigarette anzünden«, sagte sie, »werde Ihnen die Treue halten.«
Die schöne Minute, die auf der Fischerbastei folgte, habe ich noch immer tief in mir. Ich seufze in der Erinnerung daran. Wir zogen uns unter das Türmchen am Ende der Bastei zurück, lehnten uns in Richtung Pest hinaus, mein Arm berührte den ihren, und ganz allmählich bekam ich durch den Pelz hindurch ihre Wärme zu spüren. Sie wandte mir das Gesicht zu, lächelte, meine Augen okkupierten ihren lilienblauen Blick, worauf sie einen kurzen Moment lang die ihren schloss und dann meinen Blick mit nun umwölkten, neugierigen Augen erwiderte. Als wollte sie fragen: Wer bist du eigentlich? Ihre Lippen schlossen sich für einen Augenblick, so als formten sie ein stummes M, danach lächelte sie wieder. Heute weiß ich, es wäre kein unverzeihlicher Fehler gewesen, wenn ich auf der Stelle den Arm um ihren Hals gelegt und ihren Kopf zu mir hingezogen hätte.
An was denken Sie? Nicht wahr, an dasselbe wie ich. Wie schön es doch wäre, dem Leben ein klein wenig Glück abzuringen.
Sie hob den Kopf und seufzte tief, dann sagte sie, während sie ihn wieder senkte und ihre Augen verbarg:
»Man darf nicht ohne Liebe leben.«
Was mir diese Minute gegeben hat, das habe ich für michaufbewahrt, ich möchte es behalten, für immer. An diese eine Minute glaube ich bis heute.
Gleichzeitig bewegten sich unsere Hände aufeinander zu, die Handflächen fest ineinandergelegt, drückten wir uns die Hände. Dann löste ich die Hand langsam aus der ihren, um meinen Handschuh auszuziehen. Auch sie streifte den weichen Handschuh aus Antilopenleder ab und schob ihre entblößte Hand wieder in meine zurück.
Unterhalb von uns sammelte sich auf einer Ulme ein Spatzentrupp. Wie Depeschen kamen sie einzeln an. Als hätte die kahle Ulme plötzlich dunkle, runde Blätter bekommen. Wir hörten dem lauten Spektakel zu, während sich unsere Finger miteinander bekannt machten. Ein solches Vogelkonzert im März würde ich unverändert in eine Frühlingssymphonie hineinnehmen.
Mein Gott, wie spät ist es? Sie muss ja noch zum Friseur in die Váci-Straße und vor sieben zum Umziehen daheim sein, denn heute Abend haben sie Theater.
Am folgenden Tag stromerten wir eine Stunde lang auf dem hinteren Abhang des Burgberges herum. In der zweiten Halbzeit des Spaziergangs verirrten wir uns in den Toreingang eines im Bau befindlichen
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