Die Liebe am Nachmittag
Arzt heilen. Der Priester zum Glauben bekehren. Der Aristokrat will spielen, wie ein Kind.
Jeder Mensch sucht sein Glück, sein Wohlbefinden.
Ich habe keine Schlachten gewonnen, habe mir keine Nashornhaut, kein Antilopenhorn aus Afrika mitgebracht. Mit meinen Dichtungen erobere ich nicht die Welt. Auch ich brauche Zufriedenheit, brauche den Erfolg; wie jeder Bettler ihn braucht, der seine Hand nach Almosen ausstreckt.
Nein, es gibt kein Gesetz: jeder so, wie es ihm beliebt, das ist das Gesetz.
Aber das wunderbar Schöne ist, wenn unter der Sommersonne ein Schwarm Tauben am Himmel dahinsegelt. Wenn man aufschaut, sieht man fast keinen Vogel, auch die Flügel nicht, den Flugapparat: nur die wunderbare weiße Harmonie, die leuchtende Herrlichkeit sieht man.
Wie schön und wie gut, wenn der Mensch ahnen kann: Was ich tat, habe ich recht getan. Aber wie rar ist so etwas doch im Leben; seltener als die roten Feiertage im Kalender.
Am Abend, wenn ich mit gesenktem Haupt das Trottoir entlangschlendere und dann mit einem Mal den Kopf hebe, in die Sterne blicke,so geschieht das ohne Absicht,wie von selbst; es ist die unwillkürliche Flucht jedes Menschen aus seinen Gedanken, Stimmungen, zum Himmel hoch. Verweilt man mit den Augen dann ein wenig am Firmament, gewahrt man mitten im Sternenmeer ein winziges Sternchen, verfängt sich darin: Betrachtet, beobachtet es. Man erfährt eine Art Ergriffenheit, wie im Kino, wenn von der Leinwand herab der Blick eines Darstellers unsere Augen streift. Mein Auge wandert weiter am Himmel, und dann suche ich wieder dieses namenlose Sternchen. Spiele mit ihm und suggeriere ihm, es solle meinen Blick erwidern. Schweife ab und kehre mit den Augen wieder zu ihm zurück. Und mir scheint, es hat auf mich gewartet, so als beobachtete es mich, als wüsste es vonmir. Das Sternchen blinkt, scheint mir etwas zuzuflüstern. Es ist so unbedeutend, dieses Sternchen, nicht blau, nicht grün, kein strahlender Diamant; das Ganze eine schneeflöckchenkleine Reinheit. So bewahre ich es mir auf dort oben, nehme es mit mir, das winzige Vertraute, dieses kleine, göttliche Etwas.
Informationen zum Buch
Mihály ist Feuilletonist, Theaterkritiker, Dichter, neurasthenisch – und ein Flaneur, wie Baudelaire ihn geträumt haben mag. Als ein Mann von 46 Jahren betrachtet er die Welt und sich selbst kontemplativ und abgeklärt, eingehüllt in den melancholischen Hauch der untergegangenen ungarischen Monarchie. Er versteht viel von Verführung, doch sein Verhältnis zu Frauen ist wie das zwischen einem Chinesen und seinem Fächer. Die gutsituierte, verheiratete 5Fleurs, wie er sie nennt – eine namenlose
grande dame
, anziehend und bedeutungslos zugleich –, begehrt Mihály halbherzig. Die Liebe der unschuldigen jungen Schauspielschülerin Iboly erduldet er zunächst nur. – »Irgendetwas fehlt. Irgendetwas kriege ich von ihr nicht. So als hielte ich eine Muschel ans Ohr und sie wollte nicht rauschen …« – Széps Roman über die Liebe, die Frauen, das Leben, das Alter, die Armut, den Tod, das so flüchtige Glück ist eine literarische Entdeckung von hohem Rang.
Informationen zum Autor
Ernő Szép,
1884 geboren in Huszt, einer kleinen Stadt in der großen östlichen Ebene Ungarns (damals Österreich-Ungarn, heute zur Ukraine gehörig), wuchs als Sohn eines Lehrers in ärmlichen Verhältnissen auf. Er kam als junger Mann nach Budapest, wo er zu einem populären und gefeierten Schriftsteller wurde. Älter als Sándor Márai und Antal Szerb, den »Großen Eleganten«, gehörte er zu den Mitbegründern der ungarischen Moderne. Nach dem Sturz der Räterepublik emigrierte Szép, der Jude war, 1919 für eine Weile nach Wien. Szép schrieb sieben Romane, außerdem Novellen, Stücke und Gedichte. 1944 wurde er zunächst in einem der berüchtigten Judenhäuser interniert und zur Zwangsarbeit verpflichtet. Einer Protestnote Raoul Wallenbergs zufolge erhielt er jedoch einen sogenannten schwedischen Schutzpass: So überlebte er den Krieg in einem der geschützten Sternhäuser. Verarmt und nahezu vergessen starb er 1953 in Budapest. Sein Werk erlebt derzeit eine Renaissance in Ungarn.
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