Die Liebe atmen lassen
außerehelichen Beziehungen von den philosophischen Überlegungen wohl eher unberührt blieben.
2. Im frühen Christentum weisen vom ersten Jahrhundert an verschiedenste Autoren, Platon und dem Neuplatonismus folgend, die körperliche Liebe weitgehend ab und richten die seelisch-geistige Liebe auf eine jenseitige Instanz aus. Die transzendente Ebene wird wieder mit Liebe besetzt, anstelle des sinnlich konnotierten Eros nun jedoch mit geistiger Agape im Griechischen, Caritas im Lateinischen, inkarniert vom Gott des Christentums: »Gott ist Liebe« (1 . Johannesbrief , 4, 16), die Verschmelzung mit ihm ist das oberste Ziel. Als legitime Form der Liebe zwischen zweien erscheint in dieser Perspektive allein die eheliche Bindung zwischen Mann und Frau, die vor Gott eingegangen wird und die der Mensch nicht trennen soll. Der Eindruck einer gleichberechtigten Beziehung wird von Aussagen konterkariert, die Paulus im Epheserbrief macht: Der Mann soll seine Frau lieben wie sich selbst, »die Frau aber fürchte den Mann«, denn er ist ihr »Haupt«, so wie Christus das Haupt der Kirche sei. Die körperliche Liebe ist im Rahmen der Ehe zum Zweck der Fortpflanzung erlaubt und sogar geboten, die gleichgeschlechtliche Liebe hingegen gilt als verwerflich: All das prägt die Erfahrung der Liebe in der abendländischen Kultur für lange Zeit. Augustinus, der selbsteine imposante Wegstrecke der Liebeserfahrung von der körperlichen über die seelisch-geistige hin zur göttlichen Ebene zurücklegt, gibt der christlichen Liebe im 4./5. Jahrhundert n. Chr. schließlich die historisch gültige Form, beschrieben im 10. Buch seiner Bekenntnisse , mit deutlichem Rückbezug auf Platon: Die Liebe zu Gott ist Liebe zur ewigen Schönheit, die Freude daran führt zum glücklichen Leben, die Gottesliebe ist der transzendente Sinn der Liebe, die Nächstenliebe ist ihre weltliche Erscheinungsform.
3. Im Mittelalter ist die Dominanz der transzendenten Ebene allerdings schon nicht mehr durchsetzbar, das Bedürfnis nach weltlicher Erfahrung der Liebe zumindest auf seelisch-geistiger Ebene erwacht erneut; von Gefühlen, denen unbedingt zu folgen ist, singt die Lyrik: Liebe hat es so befohlen (Bernd Prätorius, 2004), und viele Minnesänger unterhalten eine platonische Beziehung zu der Geliebten, die ihnen als Inkarnation der Schönheit erscheint. Die hohe Minne verlangt ihnen ab, in der Sehnsucht zu verharren, Erfüllung nur zu erträumen und auf dem Weg dazu mannhafte Selbstbeherrschung, absolute Diskretion und ewige Treue unter Beweis zu stellen. Andere, wie Walther von der Vogelweide, rühmen die ebene Minne , die ausgeglichene Liebe, zu der auch die körperliche Erfüllung zählt, die für sich allein nur niedere Minne wäre. Selbst die vormals rauen Ritter bemühen sich nun um Gefühle für ihre Dame und bezeugen sie mit den Farben ihrer Kleidung bei Turnieren: Grün-rot für die Liebe, die hell auflodert, schwarz-weiß für den Schmerz, der sie dennoch hoffen lässt.
Entschieden gefördert wird die neue Liebeskultur von Eleonore von Aquitanien, die im 12. Jahrhundert ein äußerst bewegtes Leben führt, Gattin des französischen Königs Ludwig VII., mit dem sie zwei, dann des englischen KönigsHeinrich II., mit dem sie acht Kinder hat. Von ihm verstoßen, hält sie, bevor sie ihr Leben als Nonne beschließt, viele Jahre lang Hof in Poitiers und ist an Minnegerichten beteiligt, die über Liebesstreitigkeiten befinden. Die dabei angewandten Regulae amoris , nebst einigen Schiedssprüchen überliefert von Andreas, Kaplan des französischen Königs, handeln davon, dass in der Ehe Pflichterfüllung vorherrschen solle, die wahre Liebe aber die außereheliche sei, in der die Liebenden sich aus freien Stücken alles gewähren, eine begehrte Freude in der mittelalterlichen Welt des Leids und der Verzweiflung. Die ritterliche Aufwertung der Frau wird im Christentum mit der Verehrung Marias nachvollzogen. Christliche Mystikerinnen, denen der Mund von der Erfahrung Gottes übergeht, lassen Unterschiede zum Liebesakt kaum erkennen: »Herr, minne mich gewaltig, und minne mich oft und lang!«, bittet Mechthild von Magdeburg: »Je gewaltiger Du mich minnest, umso schöner werde ich« ( Das fließende Licht der Gottheit , I, 23).
4. In der Renaissance wird deutlich, dass die Liebe sich auch mit der seelisch-geistigen Ebene nicht begnügen kann: Sie drängt auf die Entfaltung aller Ebenen . Eine Ahnung davon vermitteln bereits im 12. Jahrhundert Héloïse und
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