Die Liebe atmen lassen
Entgegensetzung zum prosaischen Kalkül entwerfen die Romantiker poetische Konzepte der Liebe als Gefühl und als Traum, Friedrich Schlegel in Lucinde (1799), Dorothea Schlegel in Florentin (1801). Dem Gefühl kommt gottähnliche Funktion zu, es sorgt für die Erfahrung von Unendlichkeit und begründet die romantische Religion der Liebe, mit der Konsequenz freilich, dass sein Ausbleiben auch die Trennung nahelegt. Wie tödlich der Konflikt zwischen der Liebe als Geschäft und der Liebe als Gefühl ausfallen kann, führt der Realist Theodor Fontane in Effi Briest (1895) vor. Die gefühlsbestimmte Liebe, die im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts enorm an Popularität gewinnt, ist der gewagte Versuch zu einem zärtlichen Leben , das den Härten der Existenz ganz entgehen will. Es wird zum Zufluchtsort vor den gefühlten Bedrohungen durch die Moderne, die vielen als Zeit der Lieblosigkeit erscheint, beherrscht von gefühlloser Rationalität, Technik und Ökonomie.
Im romantischen Laboratorium der Liebe machen jedoch schon die Frühromantiker selbst gemischte Erfahrungen mit Gefühlen, die auflodern und wieder verglimmen, und Träumen, die zu Albträumen werden. Sie sehen sich stürmischen Verwicklungen ausgesetzt, die für Liebeserfahrungen zu allen Zeiten typisch sein mögen, nun aber an neuer Dynamik gewinnen: Eindrucksvoll das lange Sehnen, das Clemens Brentano zu Sophie Mereau hin treibt und von ihr nach ebenso langem Zögern, dann aber mit aller Unbedingtheit erwidert wird, bevor sich das leidenschaftliche Gefühl mit der Zeit in der Endlichkeit und Begrenztheit eines blassen Alltags verliert und schließlich nur noch bittere Enttäuschung hinterlässt. Dieromantisch Liebenden sprengen religiöse, traditionelle und konventionelle Fesseln, scheitern aber am Versuch, der freien Liebe selbst den Charakter einer verlässlichen Bindung zu geben. Das raubt ihnen schließlich den Glauben an die Gefühle. Übrig bleiben die Körper.
7. In der fortgeschrittenen Moderne des 20. Jahrhunderts wird die körperliche Ebene tonangebend, eine historische Neuerung in später Revolte gegen die philosophische und christliche Abwertung der körperlichen Seite der Liebe. Die Psychoanalyse deckt unbewusste und unterdrückte sexuelle Wünsche auf (Martin S. Bergmann, Eine Geschichte der Liebe , 1987), und mit wissenschaftlichem Anspruch wird nun die gesamte Sexualität offen gelegt, breitenwirksam in den Kinsey-Reports von 1948 und 1953; Handbücher schildern detailliert, wie Gebrauch von ihr zu machen sei (Günter Amendt, Das Sex Buch , 1979). Was einen enormen Gewinn an Möglichkeiten des Lebens und Liebens mit sich bringt, verleitet viele auch dazu, die verkürzte Sexualität, Sex , allein mit Liebe zu identifizieren. Wo noch ein Gefühl damit einhergeht, gilt es in Anlehnung an die ökonomische Sphäre letztlich als riskantes »Investment«. Ein Leben ohne Sex erscheint kaum noch vorstellbar, und auch außerhalb des Bettes muss immer alles »geil« sein: Geiles Auto, geile Frisur, geiler Job.
Die moderne Gesellschaft kenne eine Sexualwissenschaft, aber keine Kunst des Liebens mehr, postulierte Michel Foucault 1976 in seinem Buch Der Wille zum Wissen . Die Befreiung von einer »repressiven Sexualmoral« führt eben nicht von selbst schon zur erhofften Erfüllung in einer freien Liebe, eher zur Entleerung von Menschen in verschiedener Hinsicht, zur Vereinsamung der Seelen in nie gekanntem Ausmaß. Welches Verhängnis ein bloß sexuelles Verhältnis mitsich bringen kann, offenbaren unfreiwillig Cicciolina, die Pornodarstellerin, und Jeff Koons, der Künstler, der dem körperlichen Vollzug ihrer Liebe ein bleibendes Denkmal in Bildern und Skulpturen setzt ( Made in Heaven , 1990/91): Nach der baldigen Trennung bleibt nur der erbitterte Kampf um das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn übrig. Aber wirksamer als je zuvor können Frauen in dieser Zeit ihre Gleichberechtigung geltend machen; ihre Befreiung von der Fron der Fortpflanzung mithilfe einer unscheinbaren Pille spielt dabei eine entscheidende Rolle. Und auch die gesellschaftlich lange verworfene gleichgeschlechtliche Liebe kann in die moderne Normalität integriert werden, denn je weniger der Sex der Fortpflanzung zu dienen hat, desto mehr kann er seinen Sinn darin finden, sinnliches Genussmittel zu sein, unabhängig von der geschlechtlichen Orientierung.
8. In andersmoderner Zeit erscheint eine Renaissance der Liebe wünschenswert, die allen Ebenen gerecht werden kann, bevor
Weitere Kostenlose Bücher