Die Liebe atmen lassen
darin das optimale Verhältnis zwischen Mann und Frau, wobei er, ganz Kind seiner Zeit, der Frau die führende Rolle allenfalls im Falle reicher Mitgift zusprechen konnte ( Nikomachische Ethik , 1160 b 33).
Ebenfalls einseitig, aber ganz anders geartet ist die despotische Herrschaft , die gewaltsame Machtausübung eines alleinigen Herrn und Gebieters (griechisch despotes ), auch einer Herrin und Gebieterin, dem oder der zugestanden, womöglich sogar abverlangt wird, willkürlich eigene Interessen und Leidenschaften auszuleben, denen der Andere sklavisch zu folgen hat, als freiwillige Veranstaltung nur in sadomasochistischen Beziehungen denkbar. Das Machtspiel zwischen zweien kann diese Form annehmen, und auch das kann Liebe sein: Beziehungen der Liebe sind nicht auf symmetrische Verhältnisse verpflichtet, auch frei gewählte asymmetrische Verhältnisse sind lebbar; auch in gewöhnlichen Liebesbeziehungen können freiwillige Sklavendienste »Liebesdienste« sein.
In beiden einseitigen Machtverhältnissen wird es aufgrund eigener Wahl, die die Möglichkeit der Abwahl prinzipiell offen lässt, mit einer souveränen Unterwerfung möglich, sich dem Mächtigeren vollständig anzuvertrauen und sich geradezu von ihm »besitzen› zu lassen. Wünschenswert wäre im Gegenzug auf der Seite des Mächtigeren eine selbstreflexive Domination , mit der er seine Macht kontrollieren kann, um sie im Zaumzu halten und den ihm zugestandenen großen Spielraum nicht über alle Grenzen hinaus zu missbrauchen. Dafür allerdings gibt es keine Garantie: In ihrem Roman Liebesleben (1997) lässt Zeruya Shalev ihre Protagonistin Ja’ara einem Mann begegnen, von dem sie leidenschaftlich geliebt werden will, nicht romantisch und gefühlvoll, sondern egoistisch und besitzergreifend. Erst als seine nichtreflexive Domination jedes Maß sprengt, findet sie spät, vielleicht zu spät und zutiefst gekränkt wieder aus dem Verhältnis heraus. Die gewollte Unterwerfung kann eben nicht nur beglückend sein, etwa weil sie die Erotik der Gewalt zu leben erlaubt und die Mühsal eigener Entscheidungen erspart; sie kann auch demütigend und ausweglos sein.
Zuletzt kann die einseitige despotische Herrschaft mit Gewalt auch gegen den Willen des Anderen erzwungen werden, sei es, weil dies in der jeweiligen Kultur »so üblich ist« oder weil es in dieser besonderen Beziehung durchgesetzt werden kann. Die Gewalt kann körperlich ausgeübt werden, mit nachweisbaren Spuren, grundsätzlich anklagbar; ebenso problematisch ist jedoch die seelische Gewalt, die weit weniger bezeugbar ist, sowie die strukturelle Gewalt bestehender Verhältnisse, von denen Menschen zu Verhaltensweisen genötigt werden, die sie nicht wählen würden, wenn sie es könnten. Das ist das zentrale Problem der Ethik der Liebe: Was soll geschehen, wenn einer in der Beziehung Gewalt anwendet, der der Betroffene nicht zustimmt? Wo genau ist dafür die Grenze zu ziehen? Und was ist, wenn sie überschritten wird? Das Problem besteht darin, dass jeder und jede jederzeit auch ohne Erlaubnis und ohne Grund über Gewaltmittel verfügen kann, etwa über die Hand, die »ausrutscht«, und das böse Wort, das verletzt. Der, der Gewalt ausübt, versucht vielleicht selbst nur verzweifelt, nachdem Scheitern anderer Möglichkeiten zur Einflussnahme auf den Anderen noch eine Machtwirkung um jeden Preis zu erzielen, ihn förmlich dazu zu zwingen, die Existenz des Selbst und seiner Bedürfnisse zumindest zur Kenntnis zu nehmen, vor allem dann, wenn dieses Selbst seiner Existenz von Grund auf unsicher ist, unfähig zur Selbstmächtigkeit und zum eigenständigen, freundschaftlichen Umgang mit sich.
Die Ethik der Liebe ist ohnmächtig , wie jede andere Ethik, wenn es darum geht, die Anwendung von Gewalt zuverlässig unmöglich zu machen: Es gibt kein Leben, keine Beziehung ohne gelegentliche Verletzung zumindest der Seelen, die Gefahr wächst mit der Nähe zueinander. Ausgerechnet beim Versuch, jede Verletzung auszuschließen, gerät die kleinste Wunde schon zur großen Katastrophe. Auch nicht jedes Leiden in einer Beziehung ist vermeidbar, manche sprechen sogar von einem »Bedürfnis zu leiden« und nennen es »eines der tiefsten Bedürfnisse des Menschen« (Denis de Rougemont, Die Liebe und das Abendland , 1939). Ein sinnvolles Ziel der Ethik kann jedoch sein, Gewalt und somit Verletzung und Leid zu begrenzen und schon ihre Entstehung weniger wahrscheinlich zu machen: Nicht jede Verletzung muss hingenommen, nicht
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