Die Liebe atmen lassen
Mensch, der Macht hat, getrieben wird, sie zu missbrauchen« ( Vom Geist der Gesetze , 1748, 11, 4). Der große Theoretiker der Macht hielt sich nicht lange damit auf, das Problem durch eine Abschaffung der Macht lösen zu wollen, denn unter diesem Vorwand wird sie ja doch nur umsoungenierter eingesetzt; seine Antwort ist ungleich pragmatischer: »Damit die Macht nicht missbraucht werden kann, muss die Anordnung der Dinge so sein, dass die Macht die Macht zügelt.« Ist die Macht unvermeidlich, soll wenigstens ihre einseitige Zuspitzung vermieden werden: Das kann auch der Ansatzpunkt für eine Ethik der Liebe sein, die auf eine Mäßigung der Macht zielt und nach gemeinsam lebbaren Lösungen sucht. Das ist nicht nur eine Angelegenheit des aktiven , sondern auch des passiven Teilhabers am Machtspiel, der etwas mit sich machen lässt oder eben nicht, durch sein Lassen das Machen des Anderen ermuntert oder ihm mit einer Begrenzung seines Lassens Grenzen setzt. Es hilft nichts, eine Gleichberechtigung in Machtfragen nur zu proklamieren, sie muss auch realisiert werden.
Der Einzelne erreicht eine Mäßigung der Macht zuallererst mit seiner Selbstgesetzgebung, seiner Autonomie im Wortsinne, um mit Selbstmächtigkeit eine eigene Macht über sich zu gewinnen, mit ihrer Hilfe übertriebene Machtansprüche gegen Andere zu zügeln und umgekehrt zu weit gehende Machtansprüche Anderer abzuwehren. Schwäche provoziert den Stärkeren, der nicht stark genug ist, sich selbst zurückzuhalten; eine eigene Macht aber ist dazu angetan, sich die Wertschätzung des Anderen zu verschaffen, statt »Almosen« von ihm erbitten zu müssen. So kann das Selbst souveräner mit sich, sodann mit dem Anderen umgehen und ausbalancierte Verhältnisse mit ihm finden, auch wenn sie jeden Tag neu austariert werden müssen. Eigene Macht entsteht durch die Klärung des inneren Machtspiels im Selbst, durch den Ausgleich eigener Gegensätze mithilfe von Kompromissen und Absprachen, um sich mit sich selbst zu befreunden. Eine Herausforderung stellt dabei die Macht des Begehrens dar, die das Selbsteigenwillig für sich in Besitz zu nehmen trachtet. Mit der Schulung des Begehrens kann das Selbst diesem Machtanspruch Raum geben, ihn aber auch, falls er zu weit geht, zurückhalten. Dazu dienen Lektionen der Erfahrung , bei denen auf Umwegen, Abwegen, Irrwegen ein Lernprozess zu durchlaufen ist, verbunden mit enttäuschten Hoffnungen, schmerzlichen Abweisungen, reumütigen Neuorientierungen. Der Lernprozess wird unterstützt von Lektionen der Besinnung , die das Selbst mit der Einsicht in Zusammenhänge und mit der Einübung veränderter Verhaltensweisen dazu befähigen, seinem Begehren Grenzen zu setzen, sofern es vom Anderen nicht beantwortet wird, und dem Begehren des Anderen Grenzen zu setzen, sofern es beim Selbst keine Resonanz findet.
Der Selbstgesetzgebung des Einzelnen entspricht eine des Paares, um eine eigene Definition der Machtverhältnisse vorzunehmen und vorherrschenden traditionellen, konventionellen und religiösen Machtverteilungen zu entgehen. Mit wachsender Befreiung von überkommenen Vorgaben liegt es an den Beteiligten selbst, ihre Verhältnisse zu klären und sich an einer Mäßigung der Macht zu versuchen, um auch in dieser Hinsicht der Freiheit lebbare Formen zu geben, vorzugsweise anhand kleinstmöglicher Fragen des Alltags, denn der Macht erscheint nichts als zu gering; die Mühsal der Auseinandersetzung hierüber ist der Preis der Befreiung. Nicht auszuschalten ist dabei der Faktor der natürlichen Macht , die aus der Veranlagung der Beteiligten hervorgeht, die machtbewusst und durchsetzungsfähig oder desinteressiert an Machtfragen und gerne mit allem einverstanden sind. Ein Faktor ist weiterhin die kulturelle Macht , mit einer Machtverteilung zwischen den Geschlechtern, die auch in befreiten Zeiten so selbstverständlich praktiziert wird, dass kaum jemand darüber nachdenkt(Günter Dux, Die Spur der Macht im Verhältnis der Geschlechter , 1992). Und doch ist ein entscheidender Faktor die individuelle Macht , die Individuen sich erarbeiten und selbst begrenzen lernen, um bewussten Gebrauch davon zu machen und auf die natürlichen und kulturellen Vorgaben der Machtverteilung zurückzuwirken, sie zu bestätigen und zu bestärken, sie aber auch anders zu interpretieren und zu korrigieren.
Das Paar selbst nimmt eine Aufteilung der Machtbereiche vor, um die es nicht nur in der »großen Politik« geht, in der Montesquieu mit einer
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