Die Liebe atmen lassen
wird, ist jedoch das Lebendigste am Zusammenleben: Das Einverständnis muss mutwillig wieder durchbrochen werden, denn das Leben besteht nun mal im »Fluktuieren zwischen zwei Polen«, wie einer sagte, der damit selbst die größten Schwierigkeiten hatte (Hermann Hesse, Kurgast , 1924, Ausgabe 1977, 107). Wie in der großen Politik fällt es auch in der kleinen schwer,die Gegensätze als notwendig zu akzeptieren oder gar als bereichernd zu affirmieren; das ewige Hin und Her kann lähmend wirken und die Beteiligten verwirren, da sie nicht mehr wissen, woran sie sind. Menschen sind komplizierte Tiere, ihre Beziehungen sind »komplex«, es kostet einige Mühe, sie so überschaubar zu gestalten, dass sie gut lebbar werden. Aber spätestens dann, wenn die Harmonie anhaltend gestört ist, führt kein Weg daran vorbei, die Verhältnisse neu zu klären, auszudiskutieren, auszuhandeln und auch auszufechten. Die Alternative dazu wäre zu resignieren, sich irgendwann zu trennen und darauf zu hoffen, dass beim nächsten Mal »alles ganz anders wird«, um sich dann doch wieder mit Machtfragen konfrontiert zu sehen, die sich eben nicht von selbst beantworten (Michael Fries, Macht in partnerschaftlichen Beziehungen , 1986; Hans Jellouschek, Wie Partnerschaft gelingt , 1998).
Der gelegentliche Streit ist unverzichtbar. Damit er die Beziehung jedoch stärkt und nicht zerstört, gehört zur Ethik der Liebe eine Streitkultur . Kultur daran kann nicht sein, immer nur zu schweigen, aber auch nicht, sich bei jeder Gelegenheit ultimativ aufzuregen; nicht jeder Streit muss gemieden, aber auch nicht jeder gesucht werden. Und nicht bei jeder Sache, um die es geht, muss gleich die gesamte Beziehung in Frage stehen, aber es wird nicht immer möglich sein, »Sachebene« und »Beziehungsebene« im Streit auseinander zu halten, denn die Beziehung wird nun mal gerne in Sachen verhandelt, und was könnte Sachen spannender machen, wenn nicht die Beziehung, die in ihnen geeignete Gegenstände für das Schauspiel der Auseinandersetzung findet? Die Streitkultur beruht darauf, gegensätzliche Interessen und Meinungen für gewöhnliche Bestandteile der Polarität zu halten: So wird es leichter, nicht nur den eigenen Standpunkt zu vertreten,sondern sich auch für den des Anderen zu interessieren; beizeiten dann sich selbst wieder von außen zu sehen, um die Situation neu zu bewerten, und nicht um jeden Preis »siegen« zu wollen, sondern nach Kompromissen zu suchen, die das »Gesicht« beider wahren können. Schließlich darauf zu vertrauen, dass durch den Streit hindurch eine neue Einigkeit möglich sein wird, und damit einverstanden zu sein, dass auch die wieder nicht von ewiger Dauer sein kann: Streit endet im Grunde nie, er schläft nur vor Erschöpfung ein, und schläft dann hoffentlich für längere Zeit.
Der Streit ist weniger problematisch, wenn jeder der Beteiligten die Grundfrage für sich selbst klar beantwortet: Bejahe ich den Anderen und die Beziehung zu ihm von Grund auf, »andere Seiten« mit eingerechnet? Ausgehend von einem Ja wird die Bindung an Werte im Umgang mit ihm auch im Eifer der Machtfragen möglich, und die Auseinandersetzung kann in das Bemühen eingebunden sein, nach einem neuen Einvernehmen zu suchen. Die klare Festlegung auf den Anderen ist eine Aufgabe der Selbstdefinition und setzt die Kräfte dafür frei, alle Schwierigkeiten in der Beziehung durchzustehen, dem Anderen eine ganze Anzahl von Schwächen und Differenzen zuzugestehen und gerade dadurch den Dauerstreit zu vermeiden, der zersetzend wirkt. Immense Kräfte verzehrt hingegen das ewig unbestimmte Schwanken zwischen Ja, Nein, Jein zum Anderen, und vor allem das heimliche Nein führt nur dazu, mit immer neuen Vorwürfen und Attacken gegen ihn jede Verständigung mit ihm zu unterlaufen (Michael Cöllen, Lieben, Streiten und Versöhnen , 2003).
Wechselseitiges Einverständnis vorausgesetzt, können Machtbeziehungen zwischen zweien gleichwohl nicht nur demokratisch organisiert sein, auch die einseitige Herrschaft istmöglich, in zweierlei Ausformungen: Die aristokratische Herrschaft ist der Idee nach die Machtausübung des Besten (griechisch aristos ), der jedenfalls vom jeweils Anderen als solcher gesehen und mit der Rolle des »Bestimmers« betraut wird, da er Entscheidungen am besten treffen, mit Geld am besten umgehen, Interessen am besten nach außen vertreten kann, sich als klug, rücksichtsvoll, umsichtig, vorsichtig und vorausschauend erweist. Aristoteles sah
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