Die Liebe atmen lassen
kürzester Zeit schon auf der persönlichen Facebook-Seite im Internet zu sehen sein. Und die ultimative Fairness wäre, sich nach der Trennung nicht wechselseitig aus dem Leben auszuschließen, sondern mit dem nötigen zeitlichen Abstand einen kooperativen oder freundschaftlichen Umgang miteinander zugewinnen, um auf diese Weise die lange Vertrautheit nicht zu verraten.
Allenfalls Fairness kann die Härten der Phasen mildern, die der Verlassene jetzt durchlebt, Stunde um Stunde, Tag für Tag, Wochen und Monate lang. Analog zu den Phasen des Verliebens und Liebens, vom anfänglichen Ausnahmezustand der Verzauberung und dem ozeanischen Gefühl der Verschmelzung, über die Verfestigung von Alltag und Gewohnheit und die konfliktreiche Auflehnung dagegen bis zur ruhigeren, reifen Liebe, entfalten sich nun die Phasen des Entliebens , von der Entzauberung des Anderen und dem Gefühl der eigenen kosmischen Verlorenheit, über die Auflösung von Alltag und Gewohnheit und die Auflehnung gegen das Geschehen bis zur ruhigeren Rückkehr zu sich selbst. Die Phasen wechseln sich nicht einfach nur ab, sondern überlagern und überschneiden sich; immer von Neuem, aber immer seltener kehrt mit irgendeiner Erinnerung an den Anderen eine überwunden geglaubte Phase zurück und stürzt das Selbst in Wut, Trauer und Verzweiflung (Sandra Hoffmann, Liebesgut , Roman, 2008; Alan Pauls, Die Vergangenheit , 2003). Auf verblüffende Weise ähneln die Phasen des Entliebens denjenigen der Konfrontation mit Sterben und Tod, wie Elisabeth Kübler-Ross sie in ihren Publikationen seit 1969 beschrieb. Dass das Weggehen immer ein wenig ein Sterben sei, sagt nicht von ungefähr eine sprichwörtlich gewordene französische Gedichtzeile: Partir c’est mourir un peu (Edmond Haraucourt, »Rondel de l’Adieu«, 1891), und das gilt erst recht für das Weggehen vom geliebten Anderen, der das so will. Demjenigen, der es erleidet, scheint das seelische Sterben sogar noch weit schrecklicher zu sein als das körperliche, zu dem ihm freilich die Erfahrung fehlt. Da aber im Vergleich zum Tod der Liebe der reale Tod nichtigerscheint, liegt in der schwärzesten Nacht des Liebeskummers der Gedanke an Selbsttötung nahe, und manche, zu viele, machen Ernst damit. Liebe ist wie ein neues Leben, wenn sie beginnt, aber wie ein Tod, wenn sie zu Ende geht, und auch hier stellt sich die Frage: Gibt es ein Leben danach? Nur das Durchlaufen der Phasen bringt das Leben von Neuem zurück.
1. Das Unabänderliche nicht wahrhaben wollen . Von einem Moment zum anderen fühlt der Betroffene sich wie versteinert und glaubt einen Albtraum zu erleben: Diese Beziehung soll am Ende sein? Das kann nicht wahr sein! Was soll nun werden? Wie kann jemals die Einsamkeit bewältigt werden, aus der die Liebe einst befreite? Der lebbare Raum verengt sich dermaßen, dass selbst das Atmen schwerfällt und jede Kraft versiegt; mit dem energetischen Notstand gehen drastische hormonelle Veränderungen einher: Mangels körperlicher und seelischer Berührung stagniert die Ausschüttung des »Bindungshormons« Oxytocin, stattdessen wird das »Stresshormon« Cortisol produziert, das Essen schmeckt nicht mehr, die Immunabwehr lässt nach, Schlaf ist kaum noch zu finden, Ähnlichkeiten mit einem Drogenentzug liegen auf der Hand. Der Andere erscheint mit einem Mal so fremd, als habe es irgendwelche Vertrautheit nie gegeben, als wäre sie gar nicht denkbar gewesen. Im Gegensatz zur zauberhaften Synchronie am Anfang der Liebe, dieser Gleichzeitigkeit der ersten Blicke, der ersten Gesten, der ersten Gefühle füreinander, ist das Ende durch absolute Dyschronie charakterisiert: Für den Einen endet die Liebe, für den Betroffenen nicht, selbst wenn die Beziehung schon beendet ist. Der, der mit dem Beenden anfängt, ist gefasst auf die Situation, er konnte sich vorbereiten, der Verlassene ist vor den Kopf gestoßen und weiß nichtmehr weiter. Eine krasse Asymmetrie greift Platz, denn der, der keine Veränderungen will, ist zu einschneidenden Veränderungen gezwungen und muss alle Konsequenzen mittragen. Im Grunde ist die Asymmetrie eine ontologische , denn einer stößt das Tor zu neuen Möglichkeiten für sich weit auf und erschließt sich das Sein neu, der Andere wird in eine einzige, schreckliche Wirklichkeit zurückgestoßen, in der er keine Perspektive mehr für sich sieht, sich allein dem Seienden ausgesetzt fühlt, das ihm nicht mehr lebenswert erscheint.
2. Das Chaos der Gefühle bricht aus . Ohnehin
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