Die Liebe atmen lassen
Ein Zusammenhang zwischen Menschen entsteht, der sinnvoll erscheint und Kontinuität verspricht. Die Seelenräume tangieren sich noch spürbar und ermöglichen ein Mindestmaß an Bindung , das große Freiheitsräume bewahrt, wenngleich sie im Vergleich zur Freundschaft stärker sozial reglementiert sind. Mit vielen Bekannten und »guten Freunden«, die nicht die engsten Freunde sind, ist in dieser Art von Beziehung die einfachste Form von Liebe mit einem milden Maß an Zuwendung und Zuneigung erfahrbar: Jemanden zu mögen und von ihm gemocht zu werden . Die kooperative Beziehung kann den alltäglichen Umgang zwischen Menschen in Form von Bekanntschaft und Nachbarschaft prägen, auch die gewöhnliche Begegnung der Bürger in der Gesellschaft und vor allem die Zusammenarbeit amArbeitsplatz, verbunden mit kollegialem Fühlen und Denken und großem Vertrauen.
Viele Beziehungen könnten wechselseitig kooperativer gestaltet werden, etwa zwischen Verkehrsteilnehmern, zwischen Geschäftsleuten und Kunden, Gastgebern und Gästen, Ärzten und Patienten, Therapeuten und Klienten, Pflegern und Pflegebedürftigen, Lehrern und Schülern. Erforderlich ist dafür lediglich, nicht gleichgültig zu bleiben gegen die Bedürfnisse und Interessen des jeweils Anderen, ihm vielmehr freundlich gesinnt, nachsichtig und kulant entgegenzukommen, wo immer es möglich ist, ihm Arbeit abzunehmen, auch wenn die Arbeitsplatzbeschreibung keine Verpflichtung dazu enthält, und ihm beizuspringen, wenn er in Bedrängnis gerät. Der gemeinsame Nutzen besteht im wechselseitigen Mindestmaß an Aufmerksamkeit und Hilfe. Kooperative Beziehungen kommen dem nahe, was christlich als Nächstenliebe , humanistisch als Menschenliebe bezeichnet wird. – Aber abseits dieser bejahenden Beziehungen stehen auch nichtbejahende, gleichgültige oder ausdrücklich verneinende zur Wahl, deren Nutzen für alle Beteiligten überschaubar bleibt.
4. Die funktionale Beziehung ist in der modernen Gesellschaft zur Regel geworden und hat vielerorts die Kooperation ersetzt. Sie ist geprägt von der bloßen Koexistenz der Individuen, die zwar in Gesellschaft leben und vielleicht unter demselben Dach arbeiten, sich jedoch nicht als Individuen, nur als »Figuren« zur Kenntnis nehmen: Null Bindung , keinerlei Loyalität und Kontinuität, keine Zuwendung und Zuneigung, keine Seelenräume mehr, die sich noch berühren würden, stattdessen absolute Freiheit bis zur Beliebigkeit des Umgangs miteinander. Die reine Rationalität einer solchen Beziehung trägt ihre Lieblosigkeit stolz vor sich her; ihren Sinn bezieht sie alleinaus der Funktionserfüllung, die nicht persönlich gemeint ist. Dass die unpersönliche Beziehungsform zum Normalfall der modernen Gesellschaft geworden ist, gewährleistet zwar die zuverlässige Regelung komplexer menschlicher Verhältnisse, schlägt aber verhängnisvoll auf die Grundstruktur der Gesellschaft durch und untergräbt deren Zusammenhalt: Menschliche Organisationsformen wie etwa Hausgemeinschaften, Schulen, Firmen, Verwaltungen, Krankenhäuser, Altersheime funktionieren nicht gut, wenn sie nur »funktionieren«. Fühlen die Beteiligten sich nur noch für die Erfüllung ihrer jeweiligen Funktion zuständig, geht zu vieles in Unzuständigkeit verloren und bleibt ungetan aufgrund der Überlastung Einzelner, deren Fehler nicht mehr durch die wohlwollende Aufmerksamkeit Anderer aufgefangen werden. Das äußerlich perfekte Funktionieren einer Gesellschaft von Funktionsträgern kann über die innere Leere nicht hinwegtäuschen, die sie ineinander hinterlassen und die sich in Erfahrungen von Sinnlosigkeit und Ausgebranntsein ( Burnout) auswirkt. Die Suche nach sehr persönlichen Beziehungen der Liebe und der Freundschaft ist die Antwort darauf (Christian Schuldt, Der Code des Herzens , 2004).
5. Die agonale Beziehung des Streits und der Auseinandersetzung ( agon im Griechischen) ist immerhin fern von Gleichgültigkeit, eine Art von umgepolter Liebe, durchzogen von Ärger und womöglich von Hass, bis hin zu Feindseligkeit und Feindschaft, sei es in intimer Nähe oder anonymer Ferne, aber wieder mit sehr viel Verlässlichkeit und Treue. Jede der bisher genannten Beziehungsarten kann zeitweilig davon begleitet sein, aber die agonale Beziehung kann sich auch verselbstständigen und zeichnet sich dann durch eine starke Bindung zwischen den Kombattanten aus, bei stark eingeschränkter Freiheit ,denn sie stehen unter dem Bann ihrer Gefühle der Abneigung
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