Die Liebe atmen lassen
Sanskrit die irdische Verkörperung eines Gottes und hier die freie Selbstschöpfungbezeichnet wird. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, sodass skurrile und laszive Geschöpfe entstehen, und die Tatsache, dass jederzeit jede Modifikation möglich ist, sorgt für ein fluides Selbst mit stets veränderlicher Identität. Auch für virtuelle Beziehungen zu Anderen, inklusive virtueller Seitensprünge, stehen immer und überall sämtliche Möglichkeiten offen. Kommt es jedoch zu unversöhnlichen Auseinandersetzungen, gar zu Vergewaltigung und Mord, liegt es nahe, sich nach einer Gerichtsbarkeit wie im realen Raum zu sehnen: Ein neuer Realitätssinn für die Bedingungen des Zusammenlebens in Gesellschaft entsteht auf diese Weise.
Die Differenz zwischen dem übergroßen Horizont an Möglichkeiten in jenem »zweiten Leben« und der unzureichenden Wirklichkeit im diesseitigen »ersten« wird oft als so schmerzlich erfahren, dass derjenige, der online einen schönen Traum geträumt hat, offline nicht mehr leben will: Für immer will er in der Unendlichkeit des virtuellen Raums verschwinden, nie wieder sich mit der banalen Endlichkeit des realen Raums auseinandersetzen. Und doch lässt das Beamen , das ihn im virtuellen Raum augenblicklich an jeden gewünschten Ort trägt, als Teleportation im realen Raum noch auf sich warten. So bleibt einstweilen nur die Erfahrung, immer wieder aus der Schwerelosigkeit des virtuellen Kosmos ins Schwerefeld des irdischen Alltags zurückzufallen, mit ähnlichen Problemen, wie Astro-, Kosmo- und Taikonauten sie kennen, die aus dem Weltraum zurückkehren. Nur eine willentliche Begrenzung der Virtualität könnte dem beikommen, die aber erfordert auch im virtuellen Zeitalter eine wirkliche Arbeit des Selbst an sich, um Selbstmächtigkeit zu erlangen.
8. Die Beziehung zu sich selbst ist grundlegend für alle Beziehungen zu Anderen, real oder virtuell, aber auch dieseBeziehung versteht sich nicht mehr von selbst. Hatte das Selbst seine innere Bindung , seinen inneren Zusammenhalt lange aus Vorgaben der Religion, Tradition und Konvention bezogen, denen es zu entsprechen hatte, etwa indem es diejenigen Seiten in sich unterdrückte, die aus dem vorgegebenen Rahmen fielen, so bricht mit der relativen Freiheit davon eine neue innere Zerrissenheit auf: Das Selbst wird zum Schlachtfeld zwischen Gefühlen, die dies, und Überlegungen, die jenes für richtig halten. Um die destruktive Konfusion der Widersprüche in sich selbst aufzufangen, kann der Einzelne sich mit konstruktiven Kompromissen um Vermittlung zwischen ihnen bemühen. Voraussetzung dafür aber ist die Selbstkenntnis , die Aufmerksamkeit und Besinnung auf sich, um körperlich, seelisch und geistig die eigenen Möglichkeiten, Fähigkeiten und Vorlieben, auf die zu bauen ist, aber auch die Unmöglichkeiten, Unfähigkeiten und Abneigungen, auf die Rücksicht zu nehmen ist, so gut wie möglich zu kennen. Auf dieser Basis erst wird die Selbstdefinition möglich, die dem Selbst gewollte Konturen gibt, mit einer Festlegung seiner wichtigsten Beziehungen, Erfahrungen, Ideen, Werte, Gewohnheiten und selbst Verletzungen, schließlich des Schönen und Bejahenswerten, an dem das Leben immer wieder neu orientiert werden kann, um daraus Kraft zu schöpfen. Eine eigene Erfahrung von Sinn erwächst aus der Festigung innerer Zusammenhänge, aus ihrer Auflösung hingegen Sinnlosigkeit.
Auch für die Selbstbeziehung stehen sämtliche Beziehungsarten als Optionen zur Verfügung, bejahende, gleichgültige und verneinende, beginnend mit der Selbstliebe . Größeren Spielraum gewährt, parallel zur Liebe und Freundschaft zwischen zweien, die Selbstfreundschaft , und die innere Kooperation erlaubt, sich selbst wenigstens zu mögen und ein wenigzu umsorgen. Ohne jede Sorge um sich droht hingegen die Gleichgültigkeit gegen sich, mit der ein Mensch sich selbst auf ein reibungsloses Funktionieren reduziert. Ein unversöhnlicher innerer Streit wiederum kann zur dauerhaften Zerrissenheit führen, bevor die Selbstablehnung womöglich im Ausschluss seiner selbst aus dem Leben endet. Eine bejahende Beziehung zu sich zu finden, ist der Selbstgewissheit förderlich und erleichtert auch das Herausgehen aus sich, um Bindungen zu Anderen einzugehen. Problematisch gewordene Beziehungen lassen sich mit einer Kultivierung der Selbstbeziehung wieder stärken, und es ist der gekonnte Umgang mit sich, der Andere vom Zwang entlastet, mit einem Selbst umgehen zu müssen, das mit
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