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Die Liebe atmen lassen

Die Liebe atmen lassen

Titel: Die Liebe atmen lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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tief im Innersten berührt. Aber auch die Möglichkeit, die Liebe von ihrer Bindung an ein konkretes Gegenüber abzukoppeln , erscheint sinnvoll, denn so muss mit dem Ende einer Liebe nicht die Liebe selbst enden. Liebe ist nicht immer persönlich gemeint. Durch alle persönlichen Diskontinuitäten hindurch ist vielmehr ein transpersonales Kontinuum der Liebe zu erspüren, dem der Einzelne sich anvertrauen kann. Solchermaßen eingebettet in ein größeres Ganzes, kann er auch eher darauf verzichten, immer von Neuem seine einzigartige Persönlichkeit hervorzukehren und Anderen abzuverlangen, diese eilfertig anzuerkennen und zu bedienen. Die Einzigartigkeit der Person zu betonen, war eine Eigentümlichkeit der modernen Kultur, die zu einer wachsenden Abkoppelung der Menschen voneinander geführt hat, abgekoppelt auch vom Ozean der Energie, der das Kontinuum der Liebe speist. Aber Georg Simmel war 1910 schon überzeugt, dass Ideen wie dieder »schlechthin einzigartigen Persönlichkeit noch nicht die letzten Worte des Individualismus sind« ( Individualismus der modernen Zeit , Sammelband, 2008, 354). Es liegt am Einzelnen selbst, gegenzusteuern und Beziehungen zu gründen und zu pflegen im Spannungsfeld zwischen der beanspruchten Freiheit, die eigene Einzigartigkeit »auszuagieren«, und der ersehnten Bindung über sich selbst hinaus.

Liebe und andere Beziehungen:
Die Spannung zwischen Freiheit und Bindung
    In nichtmodernen Kulturen geben Religion, Tradition und Konvention vor, in welchen Beziehungen Menschen zu leben haben; moderne Menschen aber müssen selbst wählen. Die Wahl bedarf eines Gespürs , das nicht von selbst schon zur Verfügung steht, sondern mit Erfahrung , auch unguter Erfahrung, und immer neuer Bereitschaft zur Besinnung nach jeder Erfahrung zu erwerben ist, um den Umgang mit Anderen daran zu orientieren. Nahezu alle Beziehungen können als Nahwie auch als Fernbeziehungen gelebt werden, und es scheint eine moderne Drift aus der Nähe in die Ferne zu geben, begünstigt von technischen Möglichkeiten der Kommunikation, erzwungen von wirtschaftlichen Notwendigkeiten, befördert von einer Lebensauffassung, die der geforderten Flexibilität und Mobilität gerne entspricht: »Spagatbeziehungen« entstehen auf diese Weise. Zugleich vervielfältigen sich unter diesen Bedingungen die Optionen für Beziehungen, die aufeinander folgend ( diachron ), auch in rascher Abfolge, oder gleichzeitig ( synchron ) gelebt werden können.
    Was davon verwirklicht und worauf verzichtet werden soll,ist Sache der Beteiligten selbst. Die Bedeutung jeder Wahl scheint dabei vordergründig nur eine private zu sein und ist doch von Grund auf eine politische , denn mit der individuellen Gestaltung des Beziehungslebens geschieht im Grunde die Gestaltung von Gesellschaft: Gerät die Gesellschaft zu einer Ansammlung von Menschen in gleichgültigen oder verneinenden Beziehungen, in denen sich viele wechselseitig für ihre Zwecke benutzen und in der Diskontinuität rascher Beziehungswechsel ihre Befriedigung finden? Oder kann sie im Kern von bejahenden Beziehungen der Liebe, der Freundschaft und der Kooperation getragen sein, in denen die Beteiligten auf Kontinuität zielen und nicht nur ihren unmittelbaren Nutzen im Blick haben? Aber bereits diese Beziehungen unterscheiden sich signifikant.
    1. Die Liebesbeziehung zeichnet sich durch ein reiches Maß an Zuwendung und Zuneigung aus und umfasst im Grunde nicht nur die Liebe der Liebenden, sondern auch familiäre Beziehungen aller Art, auf deren Besonderheiten jedoch eigens einzugehen sein wird. Die Liebe ermöglicht Berührung auf allen Ebenen und eine starke Erfahrung von Sinn, aber für das Optimum an Bindung , die sie herstellt, müssen die Liebenden Einschränkungen ihrer Freiheit in Kauf nehmen, die sie lange nicht wahrnehmen oder aber gerne hinnehmen, bis plötzlich einer erschrickt: »Wo bleibt meine Freiheit?« Jeder Einzelne selbst legt fest, welche Einschränkungen er hinzunehmen bereit ist und was im Zweifelsfall den Vorrang haben soll: Freiheit oder Bindung? Eingeschränkt wird die Freiheit vom Verlangen der Liebenden nacheinander, dem sie sich kaum entziehen können: Je intensiver das Gefühl, desto schmerzlicher jede noch so kleine Entfernung voneinander, nicht nur am Beginn der Liebe. Eingeschränkt wird die Freiheit ferner vomintimen Zusammenleben im Alltag, das die Liebenden sehr bald suchen, um sich nahe zu sein; dann aber prallen ihre Einzigartigkeiten, Eigenheiten und

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