Die Liebe atmen lassen
Gewohnheiten unvermittelt aufeinander, und zugleich fällt es ihnen schwer, sich mit einer räumlichen und zeitlichen Entzerrung ihrer Sphären größere Spielräume zu gewähren. Eingeschränkt wird die Freiheit auch vom Anspruch auf Ausschließlichkeit der Beziehung, der kaum je aufgegeben wird; selbst Zusatzbeziehungen zur besten Freundin, zum besten Freund stehen nicht selten unter dem Verdacht der Konkurrenz.
Eingeschränkt ist die Freiheit erst recht bei der Frage, ob und wie die Liebe auch körperlich gelebt werden kann, ob Sex dieser Beziehung vorbehalten sein soll, und was geschehen soll, wenn die Exklusivität einseitig aufgehoben wird. Eingeschränkt wird die Freiheit von Spielen der Macht, mit denen die Liebenden in dieser und vielen anderen Fragen Einfluss aufeinander auszuüben suchen und zuweilen wie unter Zwang handeln, der jede Verweigerung, jede Verletzung zu entschuldigen scheint; allenfalls mit den Jahren, durch endlose Auseinandersetzungen und enorme Anstrengungen hindurch, wird die Liebe zur Schule des Lassens und der Gelassenheit. Eingeschränkt wird die Freiheit der Liebenden letztlich von der Angst vor Trennung: Sie ängstigen sich, mit dem Verlust des Anderen einer Endlichkeit und Sinnlosigkeit ausgeliefert zu sein, die das Gefühl der Unendlichkeit und Sinnfülle in der Liebe wieder auslöscht. Viele kommen damit schon bei gelegentlichen Problemen in der Beziehung selbst nicht zurecht, erst recht nicht, wenn sie wirklich endet. Andere Arten von Beziehung scheinen mit modernen Ansprüchen auf Freiheit besser vereinbar zu sein; durch die Übernahme einiger ihrer Elemente wäre die Idee der Liebe etwas aufzufrischen.
2. Die Beziehung der Freundschaft stellt einen ähnlich starken Zusammenhang her wie die Liebesbeziehung, mit einer vergleichbaren Sinnerfahrung und sehr viel Berührung im Seelischen und Geistigen. Das Besondere an ihr ist, dass sie ein Optimum an Bindung mit einem Optimum an Freiheit zu vereinbaren vermag; der modernen Dynamik kann sie damit besser entsprechen, ohne an Bindungskraft einzubüßen. Nicht die Notwendigkeit des Begehrens begründet die Freundschaft, sondern ausschließlich die Freiheit der Wahl, und auch das Verlangen danach, den Anderen zu sehen, mit ihm zu sprechen und gemeinsam mit ihm etwas zu erleben, überkommt die Freunde nicht mit derselben Dringlichkeit wie die Liebenden. Anders als sie, die unbedingt zusammenleben wollen, bewahren die Freunde in aller Regel ihr je eigenes Leben mit ihren Gewohnheiten: So können die Seelenräume atmen zwischen Nähe und Distanz. Anstelle des Anspruchs auf Ausschließlichkeit gegenüber anderen Beziehungen erlaubt die Freundschaft Kreuz- und Querverbindungen aller Art und ein Leben in weitläufigen Freundeskreisen. Mit den unterschiedlichen Freunden lassen sich unterschiedliche Bedürfnisse ausleben, sodass jeder sich voll entfalten kann, während die Liebesbeziehung dafür begrenzte Möglichkeiten bietet, sodass »einer immer leidet«.
Die Frage der Sexualität, die aufgrund unterschiedlicher Bedürfnisse in Liebesbeziehungen häufig Asymmetrie verursacht und immer neue Absprachen erforderlich macht, entfällt ersatzlos; und je freier die Freundschaft von irgendwelchem Kalkül der Lust und des Nutzens bleibt, als desto erfüllender wird sie empfunden. Werte wie Beständigkeit und Treue sind unter Bedingungen der Moderne wohl am ehesten in der Freundschaft zu realisieren, und dass sie vonMachtspielen weitgehend unbehelligt bleibt, lässt im besten Fall einen machtfreien Raum entstehen, von dem Menschen ansonsten nur träumen können. Ausgeschlossen ist insbesondere die Inbesitznahme des Anderen, bei der es sich um Herrschaft und eben nicht um Freundschaft handelt. Und den Freunden liegt sehr daran, den Umgang miteinander rücksichtsvoll zu gestalten und Verantwortung für das eigene Tun und Lassen gegenüber dem je Anderen zu übernehmen, statt sich als Getriebene bloßer Gefühle zu gebärden. Anders als die Liebe, die einseitig sein kann, beruht die Freundschaft immer auf Wechselseitigkeit, und wechselseitig ermutigen die Freunde sich auch dazu, ihre Selbstbestimmung zu verwirklichen. Die Angst vor dem Verlassenwerden hält sich in Grenzen, denn ein Leben außerhalb der Freundschaft ist jederzeit möglich, sodass eine Trennung nicht das ganze Leben in Frage stellt.
3. Die kooperative Beziehung bietet neben den Beziehungen der Liebe und der Freundschaft einige seelisch-geistige Berührung und somit menschliche Wärme.
Weitere Kostenlose Bücher