Die Liebe atmen lassen
und, insofern er ihm Gutes tut, »etwas gut hat bei ihm«. Schenken hat mit Macht zu tun, schon das Verfügen über Möglichkeiten, das den Schenkenden auszeichnet, ist ein Zeichen dafür, und je mehr er schenken kann, desto mehr Macht hat er, etwa Beziehungen herzustellen und Bindungen zu festigen, womöglich auch eine soziale Rangordnung aufzuzeigen. Traditionell genießt das Schenken ein hohes soziales Ansehen, aber das täuscht darüber hinweg, dass es keineswegs so harmlos ist, wie es zu sein scheint. Nicht immer handelt es sich um ein reines Geben des Schenkenden, dem keinerlei Gegengaben in den Sinn kämen, so wie es kaum ein reines Nehmen des Beschenkten gibt, der nicht an angemessene Rückgaben dächte. Selbst wenn das Verfügungsmaterial des Schenkens aus materiellen Dingen besteht, dienen sie doch dazu, eine immaterielle Idee, einen Wert, eine Bedeutung greifbar zu machen: Letztlich vermittelt das Geschenk einen Eindruck davon, welche Bedeutung der Beschenkte selbst für den Schenkenden hat; nur aus diesem Grund kann das Geschenk den Beschenkten auch im Innersten berühren, in seinem Kern, in den der Schenkende auf diese Weise Eingang findet, wenn er nicht ohnehin schon darin wohnt und mit dem Geschenk seine Position nur bestätigt und bestärkt sehen will.
Dass mit der modernen Auflösung sozialer Strukturen traditionelle Formen des Schenkens an Bedeutung verlieren(Helmut Berking, Schenken. Zur Anthropologie des Gebens , 1996), hat zur Folge, individuelle Formen finden und neu erfinden zu müssen. Zur Kunst des Schenkens gehört fortan, dem Schenken eine individuelle Bedeutung zu geben, auch darauf aufmerksam zu sein, welche Bedeutung es für den jeweils Anderen hat, denn eine krasse Asymmetrie dazwischen ist möglich: Mir kann es viel bedeuten, ein Kleidungsstück zu schenken, dem Anderen aber nichts, es zu erhalten; oder dem Anderen liegt daran, es zu erhalten, mir aber nichts daran, es zu schenken. In der individuellen Haltung , mit der geschenkt wird, kommt die meist stillschweigend festgelegte Bedeutung zum Ausdruck, die vom Beschenkten nicht geteilt werden muss: Freudegeschenke zeugen von den überströmenden Energien eines Menschen, dem es einfach Freude macht zu geben und der an eine Antwort gar nicht denkt; er würde lediglich auch beim Beschenkten gerne Freude sehen. Freiheitsgeschenke entstammen der freudig genutzten Freiheit, schenken zu können, aber auch der Absicht, die Freiheit des Beschenkten zu vergrößern, ihm etwa zu ermöglichen, eine Reise zu machen oder per Gutschein sich selbst zu kaufen, wovon er träumt. Dankbarkeitsgeschenke sind dazu da, einen Menschen zu beschenken, der seinerseits ein wertvolles Geschenk gemacht hat oder überhaupt selbst ein Geschenk für den Schenkenden darstellt. Mit Gerechtigkeitsgeschenken will der Schenkende sich dort um einen Ausgleich bemühen, wo er die Notwendigkeit dafür sieht, damit der Andere »nicht zu kurz kommt«. Und Besänftigungsgeschenke sollen seinen Zorn abflauen lassen und den Ärger, den vielleicht das Selbst verursacht hat und unter dem der Andere leidet, wieder gutzumachen. Durchweg sollen es aufmerksame Geschenke sein, sorgfältig ausgewählt auf der Basis genauer Wahrnehmung, was der Andere braucht und sichwünscht. Zuweilen aber handelt es sich auch einfach nur um rituelle Geschenke , Überbleibsel der Tradition, bei bestimmten Gelegenheiten und zu Festtagen eben etwas zu schenken.
Dem stehen Verlegenheitsgeschenke gegenüber, aus Verlegenheit darüber, was ein angemessener Ausgleich für das Geschenk wäre, das der Andere bereits gemacht hat, oder aus Verzweiflung über das völlige Ungenügen jeglichen Geschenks, auch aus dem Unwissen heraus, was dem Anderen geschenkt werden könnte, oder dem Unwillen, ihm überhaupt ein Geschenk zu machen. Das lässt sich nicht gänzlich trennen von Notgeschenken aufgrund von Zeitmangel und weil einem momentan nichts Besseres einfällt. Pflichtgeschenke werden lustlos gemacht, »weil es halt sein muss«, ohne jede innere Beteiligung. Verpflichtungsgeschenke wiederum erlegen dem Beschenkten wissentlich oder unwissentlich eine Verpflichtung auf, die er sich nicht ausgesucht hat, etwa wenn das Geschenk ein Tier ist, das fortan zu pflegen ist, oder ein Ring, der nicht zurückgewiesen werden kann, oder sonst etwas, das der Andere sich nicht gewünscht hat, ihn aber zur Vortäuschung von Dankbarkeit nötigt. Den Tatbestand der arglistigen Täuschung erfüllen Danaergeschenke , benannt nach den
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