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Die Liebe atmen lassen

Die Liebe atmen lassen

Titel: Die Liebe atmen lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Anderen gewähren? Und wenn es an Wechselseitigkeit fehlt: Erscheint die Gesamtheit des Lebens mit ihm dennoch schön und bejahenswert? Die Wechselseitigkeit der Hinnahme ist am ehesten in Gefahr bei einer unbewussten, naiven Hinnahme , die nicht mehr nur darauf hinausläuft, »Opfer zu bringen«, sondern »Opfer zu sein«. Für die bewusste, reife Hinnahme aber, die nach eigenem Urteil angebracht oder unausweichlich erscheint, empfiehlt sich eine offensive Haltung eher als eine defensive . Mutig hinzunehmen erleichtert die Hinnahme, ihre innere Ablehnung erschwert sie, ohne an den Gründen für sie etwas ändern zu können. Am leichtesten fällt sie mit Liebe, die alles erträglich erscheinen lässt: Wer liebt, kann leiden, kann zumindest einen Teil des eigenen Lebens dem Anderen überlassen, ohne Gewissheit, einen adäquaten Teil zurückzuerhalten. Ohne Liebe aber ist kaum etwas zu ertragen.
    Hingabe und Hinnahme sind Formen des Gebens und Nehmens, die ein je eigenes Können erfordern, Grundelemente einer Kunst des Schenkens , die einst zu den großen Themen der Ethik gehörte (Aristoteles, Nikomachische Ethik , Buch 4; Seneca, Vom glücklichen Leben , 23, 5 ff.). Auch diese Kunst ist auf drei Ebenen zu entfalten: Über Möglichkeiten des Schenkens zu verfügen (eine Frage der Kreativität und der Ressourcen), einige Möglichkeiten auch zu verwirklichen (eine Frage der praktischen Umsetzung) und manche besonders gekonnt, also exzellent zu verwirklichen (eine Frage der langen Übung und des Gespürs). Das Gebenkönnen bedarf jedoch immerzu der Gegenseite des Nehmenkönnens , denn damit einer geben kann, muss ein Anderer nehmen können. Ein Geschenk anzunehmen, entgegenzunehmen, in Empfang zu nehmen, beruht auf der Bereitschaft, eine Beziehung zum Schenkenden einzugehen; je größer das Geschenk, desto schwieriger wird allerdings das Annehmen, denn wie wäre jemals angemessen darauf zu antworten? Do ut des , »ich gebe, damit du gibst«: Von altersher verpflichtet Schenken zur Dankbarkeit, wenn nicht zu einem Gegengeschenk. In einer ausbalancierten Beziehung ist das nicht weiter dringlich; in einer schwierigen Beziehung aber erschöpft sich die Freigebigkeit des Schenkenden rasch und es liegt ihm auf den Lippen zu sagen: »Was habe ich alles für dich getan, und du?« Der Beschenkte zeigt sich aus dieser Sicht»undankbar« und bleibt »etwas schuldig«, während der Schenkende sich in seiner Großzügigkeit über solche menschlichen Niederungen erhaben weiß und sich kaum je eingesteht, dass es mit der Selbstlosigkeit beim Schenken nicht sonderlich weit her ist: Es ist der Schenkende, der sich mit dem Gefühl, Anderen Gutes zu tun, selbst beschenkt. Er schenkt, weil es ihm gut tut. Schenken macht die Seele weit, Geiz macht sie eng. Hat daher »der Geber nicht zu danken, dass der Nehmende nimmt« (Nietzsche, Also sprach Zarathustra , III, »Von der grossen Sehnsucht«)?
    Auf der Seite des Gebens geht die Kunst des Schenkens am weitesten, wenn der Schenkende sich und sein Leben als Geschenk für den Anderen versteht, ein Zeichen leidenschaftlicher Hingabe; aber gerade das kann unerwünschte Konsequenzen beim Anderen nach sich ziehen: Je rückhaltloser der Eine sich hingibt, desto stärker kann der Andere das Bedürfnis verspüren, sich zurückzuziehen, um der Einengung durch zu große Zuwendung und Zuneigung zu entgehen. Auf der Seite des Nehmens geht die Kunst des Schenkens am weitesten, wenn das Geschenk offensiv entgegengenommen wird, am deutlichsten beim erotischen Akt: Das »Nehmen« wird zur leidenschaftlichen Aneignung des Schenkenden, der sich selbst und seinen Körper zum Geschenk macht, damit der Beschenkte lustvoll davon Gebrauch machen kann. Die Bereitschaft desjenigen, der sich gibt, »genommen zu werden«, ist dafür die entscheidende Voraussetzung, ansonsten wird das Nehmen zum Missbrauch; der, der nimmt, muss jedoch im Gegenzug bereit sein, die Inbesitznahme nicht über diese Grenze hinauszutreiben. Im Idealfall verschmelzen beide im Geben und Nehmen miteinander, und ihre Rollen können gegeneinander ausgetauscht werden.
    Schenken ist ein ontologischer Akt , denn der Schenkende nutzt Möglichkeiten , über die er verfügt, um eine Wirklichkeit herzustellen, etwa einen Wunsch des Anderen zu erfüllen. Damit tut er wiederum beim Beschenkten Möglichkeiten auf, die diesem, aber auch dem Schenkenden selbst zugute kommen, etwa dadurch, dass er sich Zugang zum Beschenkten verschafft, seine Sympathie gewinnt

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