Die Liebe atmen lassen
sind.
Liebe ohne Hingabe in solchen Formen gibt es nicht, und zumindest aus Sicht der Romantik ist die absolute, bedingungslose Hingabe die Vollendung der Liebe: »Nur die grenzenloseste Hingabe kann meiner Liebe genügen« (Novalis, Heinrich von Ofterdingen , 1802, I, 8). Die Hingabefähigkeit ist die Bereitschaft, bedenkenlos zu geben, ohne an Gegengaben auch nur zu denken, auch ohne nach Dankbarkeit zu fragen. Und doch kommt es irgendwann auf die Wechselseitigkeit der Hingabe an, die sich nur in der anfänglichen, später in derreifen Liebe ganz von selbst ergibt: In diesen Zeiten fühlen die Liebenden sich im Besitz der Fülle des Lebens, von der sie reichlich abgeben können, sodass das Geben sich absichtslos ausgleicht, und wenn für einen Moment nicht, genügt ein Lächeln des Anderen, das unendlich viel bedeutet, sodass die Wechselseitigkeit augenblicklich wieder hergestellt ist. In anderen Zeiten der Liebe aber, in denen die Fülle des Lebens noch andere Erfahrungen hervorbringt, werden Gegengaben zunächst verhalten, dann entschiedener eingefordert, die Grenzenlosigkeit der Hingabe stößt an Grenzen. Die gefühlte oder wirkliche Unausgewogenheit der Gaben unterminiert die Beziehung, die Klagen klingen bitter: Zu viel Zeit ist für den Anderen verschwendet worden, so viel Aufmerksamkeit hat er nicht verdient, zur Bewunderung gibt es keinen Anlass, das Vertrauen in ihn ist fehl am Platz, ihm kann man »nichts glauben«, und mit der fehlenden Glaubwürdigkeit steht auch er selbst in Frage, erscheint keines Privilegs mehr würdig, erst recht nicht irgendwelchen Wohlwollens; statt Lebensgewissheit von ihm zu erhalten, werden in der Beziehung zu ihm nur Lebenschancen vertan.
Um diese Situation weniger wahrscheinlich zu machen, erfordert die Kunst der Hingabe , sich nicht beliebig zu verschenken, ohne zu bemerken, »welcher Mangel an gegenseitiger Schätzung in dieser unaufgeräumten Hingabe liegt« (Rainer Maria Rilke, Über die Liebe , Sammelband, 2004, 105). Erst mit zunehmendem Gespür, mit wachsender Erfahrung und Besinnung kann aus der anfänglich unbewussten, naiven Hingabe allmählich eine bewusste, reife Hingabe werden, eine souveräne Dedikation des Selbst an den Anderen: Sich hinzugeben, ohne sich preiszugeben; für den Anderen da zu sein, ohne das eigene Selbst aufzugeben. Mag sein, dass der Andere »allesdarf«, aber im entscheidenden Moment kann das Selbst ihm ein Gespür für die Grenzen vermitteln: »Du darfst es nicht übertreiben!« Wird zugunsten des Anderen auf Selbstbestimmung teilweise oder ganz verzichtet, dann nur aufgrund einer Selbstbestimmung, die den Verzicht auch wieder begrenzen kann. So ist neben der Wertschätzung für den Anderen auch die eigene für sich selbst zu bewahren.
Eine starke Selbstbeziehung ist die beste Grundlage für die Beziehung zum Anderen, erst recht dafür, sich ihm zu überlassen und gegebenenfalls auch wieder auf sich zurückzuziehen. Widerspricht das nicht der Selbstlosigkeit , von der die Liebe geprägt sein soll? Aber das würde eine Hingabe bis zur Verausgabung erfordern, nicht nur gelegentlich, sondern dauerhaft, bis vom Selbst nichts mehr bliebe, was lieben könnte. Die reife Liebe beruht daher immer, auch wenn das nicht immer so wahrgenommen wird, zumindest zum Teil darauf, dass das Selbst auch für sich selbst da ist . Unausgesprochen, aber unabdingbar hat das atmende Maß der Liebe mit dem inneren Reichtum zu tun, den ein Selbst für sich gewinnt, um ihn wieder zu verschenken. Und mit dem inneren Reichtum des Anderen, den er für sich gewinnt und wieder mit dem Selbst teilt. Schwindet diese doppelte Ressource, versiegt auch die Liebe. In der Zuwendung und Zuneigung zum Anderen ist daher kein reiner Altruismus zu sehen, der nicht durchzuhalten ist; es gibt vielmehr ein vitales Eigeninteresse in der Liebe: »Man baut sich seine Liebe selbst, um in ihr wohnen zu können« (Michael Kleeberg, Karlmann , 2007, 87). Aber in der Zuwendung und Zuneigung ist auch kein reiner Egoismus zu sehen, der keinen Anderen überzeugen würde und das Selbst zu keiner Hinnahme befähigen könnte, die das notwendige Gegenstück zur Hingabe ist.
Parallel zur Hingabe geht es in jeder Liebe um eine Hinnahme , eine Passivität, die überaus schmerzlich sein kann. Wer geben will, muss auch nehmen können, denn so, wie Liebenden vieles wohltut, gibt es auch vieles, was ihnen wehtut: »Deshalb sei immer ihr Herz viel zu ertragen gefasst«, rät schon Ovid ( Ars amatoria , II,
Weitere Kostenlose Bücher