Die Liebe der anderen
womöglich ohne Mann, mit drei Kindern im Schlepptau! Ich sollte mich am besten einfach ins Vergnügen stürzen.
Ich verlebe eine sehr unruhige Nacht. Die physische Erregung geht über in aufgewühlte Traumphasen, in denen ich einem Gericht Rechenschaft über die zwölf Jahre ablegen muss, die mir entfallen sind. Alle sind böse auf mich, werfen mir Unaufrichtigkeit vor. Pablo selbst sagt, ich sei eine Schauspielerin und er habe den Beweis dafür. Nur die Kinder verteidigen mich und beteuern, dass sie keine andere Mama wollen. In meiner nächtlichen Eskapade sind es drei, doch das Gesicht der berüchtigten Zoé bekomme ich nicht zu sehen. Zu weit weg, von hinten, mit einer Mütze auf dem Kopf. Immer wieder erscheint eine kleine Person und sagt, alles sei nur meine Schuld. Ich habe keine Ahnung, wer das sein könnte, aber ich bin entsetzt über so viel Bosheit.
Um sechs Uhr wache ich völlig gerädert auf, und da ich wenig Lust habe, weiterzuschlafen, gehe ich in die Küche, um mir einen Kaffee zu kochen. Eine halbe Stunde spätergesellt sich Lola zu mir und schmiegt sich an mich, mit der Ausrede, ein Monster, das größer sei als Papa, verfolge sie. Von meinen eigenen Monstern kann ich ihr nicht erzählen, und so legen wir uns zusammen in das große Bett, wo Pablo in himmlischen Träumen zu schwelgen scheint. Meine Tochter kuschelt sich auf mich und flüstert mir ins Ohr, dass sie gern ihren Kopf auf meine Zaubermilchkissen legen möchte, damit sie die blaue Fee schneller fortfliegen sieht. Sie schläft wieder ein, und ich auch. Der kleine warme Körper auf mir lässt mich endlich zur Ruhe kommen. Zu zweit kommt man besser gegen die Monster an.
Ich werde von Pablos Bartstoppeln geweckt. Ich bin immer noch hier. Die warme Kugel, die sich auf meinem Bauch zusammengerollt hat, ist meine Tochter. Nebenan schläft ein Junge – auch meiner –, und fast hätte ich vergessen, dass ich die Bekanntschaft eines dritten kleinen Wesens machen werde, das ebenfalls aus meinem Leib geschlüpft ist! Der Traum, oder Alptraum, ist hartnäckig. Pablo streichelt meine Stirn.
»Hast du Fieber? Du hast dich hin und her gewälzt und im Schlaf gesprochen, als ginge es dir nicht gut.«
Und das, obwohl ich in diesem Teil der Nacht ausgesprochen gut geschlafen habe. Ich sehe Pablo an. Liebe ich ihn? Schwer zu sagen. Ich bin am Beginn unserer Geschichte, ich debütiere, meine Gefühle sind ein Stammeln. Ich empfinde mein Leben, Pablos Liebe und die Freude der Kinder nur als Zuschauerin, als würde ich gar nicht richtig existieren.
Als alle aus dem Haus sind, nehme ich meine Recherchen erneut auf und beschließe, eine der Nummern anzurufen, die ich in meinem Telefonbuch wiedererkenne. Catherine ist eine alte Freundin. Wir haben zusammen studiert. Sie ist überrascht. Sogar sehr überrascht. Aber glücklich.
»Marie? Geht es dir gut? Ich habe gehört, du hast eine kleine Tochter bekommen.« Ist es möglich, dass ich seit derGeburt meines jüngsten Kindes nicht mit ihr gesprochen habe?
»Catherine, können wir uns treffen?«
»Natürlich, komm doch zum Mittagessen vorbei.« Sie arbeitet bei einer Fotoagentur.
Ich bin einverstanden, aber als ich auflege, fällt mir ein, dass ja meine »Schwiegermama«, wie meine Mutter sie nannte, Zoé heute abliefern wollte. Ich muss mir die Dinge wirklich gleich notieren. In dem Schreibtisch, den ich für meinen halte, finde ich ein unbeschriebenes Heft. Ein Heft, wie ich es mir immer gern für Reisenotizen anschaffte. Ein Heft mit Ledereinband und blütenweißen, sehr dicken und weichen Seiten. Ich habe nie viel geschrieben, doch von Zeit zu Zeit überkam es mich, und ich kritzelte gleich mehrere Seiten voll. Auslöser konnte alles Mögliche sein. Kurze aufgeschnappte Sätze, Gedichte, ein Glücksmoment, eine Reise. Das kam in frenetischen Schüben, und soweit ich mich erinnere, war es nie sehr spannend, das Geschriebene später zu lesen. Im Moment geht es mir nur darum, Dinge aus meinem neuen Leben zu notieren, die ich nicht vergessen darf.
Nach einem kurzen Blick in den Kühlschrank ahne ich, dass es gar nicht so einfach ist, eine große Familie zu haben. Wer macht den Einkauf? Und wann? Erfolgt er samstags als Familienausflug zum Discounter oder als tägliche Marter mit zwei oder drei bis zum Rand gefüllten Plastiktüten? Wer wird mir Tag für Tag eine Antwort auf all diese Fragen geben? Und wer kann mir erklären, was in meinem Kopf ausgesetzt hat, damit ich den Inhalt von zwölf Jahren
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