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Die Liebe der anderen

Die Liebe der anderen

Titel: Die Liebe der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederique Deghelt
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komplett ausradieren konnte, acht Jahre mit Kindern und vier als kinderloses Paar? Und was für ein Paar sind wir überhaupt? Früher war ich nie länger als zwei Jahre mit einem Mann zusammen. Dann kamen der Überdruss und der Alltagsfrust. Die Männer richteten sich in der Behaglichkeit, die ich ihnen mit großem Eifer geschaffen hatte, wohlig ein, und ich begann mich zu langweilen. Und wennich mich langweilte, schaute ich mich anderweitig um. Meine Mutter hielt mir das ständig vor: Du funktionierst wie ein Mann, wie soll das auch gehen? Unsinn. Ich funktionierte wie eine Frau, die sich langweilte: gar nicht. Ich wollte mit Liebe leben, eine Liebe leben.
    Trotz gründlicher Suche konnte ich keines der Hefte finden, die ich gelegentlich vollgeschrieben hatte. Ob ich sie weggeworfen habe? Vielleicht enthielten sie die Antwort auf die Frage, wer ich heute bin? Stattdessen stöbere ich in einer Schublade die Untersuchungshefte meiner Kinder auf und erfahre alles über ihre medizinische Vergangenheit: ihre Geburtsdaten, ihre Kinderkrankheiten … Ein Detail hat mich erstaunt: In den letzten beiden Heften steht der Vermerk »Hausgeburt«. Hatte ich keine Zeit mehr, ins Krankenhaus zu fahren? Zwei Mal? Ich, ein notorischer Feigling, soll meine Kinder zu Hause auf die Welt gebracht haben? Gehörte ich etwa zu den wenigen Glücklichen, die ihre Kinder ohne große Schmerzen ausbrüten wie ein Huhn seine Eier? Wen soll ich fragen? Ich sehe den Stempel einer Hebamme, mit Telefonnummer. Wenn sie mich schon so aus der Nähe kennengelernt hat, kann sie meinen Erinnerungen vielleicht auf die Sprünge helfen und auch mich wieder auf die Welt bringen?

    »Ihre Tochter ist ein Schatz … Ich habe das Gefühl, sie hätte schon immer bei mir gelebt. Nicht wahr, meine Süße? Du liebst deine Babuschka.«
    Vor mir steht eine strahlende Großmutter, eine gutaussehende, große Frau mit ausgeprägten slawischen Zügen, die in ihrer Jugend so manchem Mann den Kopf verdreht haben dürfte. In ihren durchdringenden blauen Augen leuchtet immer noch ein Hauch von Übermut und eine unfassbare Glut. Wie alt mag sie sein? Sechzig? Bestimmt älter, sie sieht aus, als hätte sie die Zeit unter einer ordentlichen Portion positiver Energie vergraben.
    Neben ihr steht Zoé – meine Kleinste (ich rechne nicht damit, noch ein weiteres Kind zu entdecken). Als sie mich sieht, streckt sie mir die Ärmchen entgegen und schmatzt mir ein lautes Küsschen auf jede Wange. Genauso bezaubernd wie die beiden anderen! Sie hat sehr helle Augen und sieht mich mit demselben fragenden Blick an wie ihre Babuschka.
    »Sie haben ja noch gar nichts gesagt, Marie! Wie gefällt Ihnen das neue Kleid von Zoé?«
    Ich versuche es gleich wiedergutzumachen. »Großartig! Sie sieht richtig russisch aus.«
    Sie scheint versöhnt. »Nicht ganz: ein bisschen russisch und ein bisschen argentinisch. Ich habe ein paar folkloristische Motive aus Südamerika stibitzt, wissen Sie. Sie sollten mit Pablo dort hinziehen. Ich muss Ihnen aufdringlich erscheinen, weil ich es so oft wiederhole, aber das würde zu Ihnen beiden so viel besser passen als Paris, diese Stadt ist so träge geworden. Wenn man jung ist, muss man in einem lebendigen Land leben. Hier vergreisen wir. Für uns Alte ist das in Ordnung. Aber Sie und die Kinder, Sie brauchen Sonne, Tanz und Leidenschaft.«
    Ich frage mich, was für ein Verhältnis wir wohl hatten. Sie scheint mich zu mögen, das merke ich an kleinen zärtlichen Gesten.
    »So, ich muss los, er wartet im Auto auf mich.« Ich schlage vor, ihn nach oben zu bitten, doch sie weist mein Angebot zurück. »Das ist nett, aber Sie kennen ihn ja, wir sind auf dem Weg zu einer Freundin, die ziemlich weit weg wohnt. Er ist gern pünktlich.« Bevor sie geht, schaut sie sich noch einmal um. Dann wirft sie mir wieder einen durchdringenden Blick zu und nickt. »Sehr schön, die Möbel stehen so viel besser als vorher.« Mit diesen Worten verabschiedet sie sich. Wir haben also unser Wohnzimmer umgeräumt. Wer? Er? Ich? Wir beide? Warum?
    Zoé rennt in ihr Zimmer. Sie ist etwas über ein Jahr alt,vierzehn Monate, um genau zu sein. Zwei Minuten später kommt sie mit einem kleinen Kunststofflaster zurück. Es ist halb eins. Was isst ein Kind von vierzehn Monaten? Ich habe einen Blick in ihren Mund geworfen, indem ich sie ein bisschen kitzelte. Da sind nur vier Zähne drin, alle eher vorne. Keine sehr bissfeste Bilanz. Nirgends Fertiggerichte oder Babygläschen. Aber immerhin stoße

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