Die Liebe der anderen
Monaten daran gewöhnt habe, nichts mehr von dir zu hören … Verstehst du nun, warum dein Anruf heute Morgen für mich ebenso überraschend wie wunderbar war? Verzeih mir. Rückblickend weiß ich selber nicht, was da in mich gefahren ist. Wenn ich jemandem nicht weh tun wollte, dann dir.«
Ich verstehe sehr gut. Aber ich schweige, ich bin längst woanders.
»Und Pablo?«
»Ich glaube, er versuchte dir zu erklären, dass er mein Verhalten durch nichts befördert hat, dass er versucht hat, mich abzuhalten. Er verstand weder mein Handeln noch, was es bei dir bewirkte. Ich nehme an, dass Pablo nachher sensibel genug war, dir seine Liebe zu beweisen. Aber ehrlich gesagt weiß ich nicht genau, wie das dann zwischeneuch gelaufen ist. Wie geht ihr beide jetzt mit deinem Zustand um? Ist bestimmt nicht so einfach …«
»Wir gehen gar nicht damit um. Ich habe ihm nichts gesagt.«
»Was? Aber warum nicht? Das verstehe ich nicht. Er ist doch der Einzige, der dir wirklich helfen und dich unterstützen kann. Und er ist stark.«
»Ich weiß nicht. Mach dir mal klar, dass ich Pablo gestern erst kennengelernt habe. Ich schenke doch nicht dem Nächstbesten mein Vertrauen, nur weil ich drei Kinder mit ihm habe!«
Mir ist nicht bewusst, wie absurd das klingen muss. Catherine macht keinen Hehl aus ihrer Verwunderung, doch dann scheint ihr etwas einzufallen.
»Gut, hör zu, ich werde dir von früher erzählen, von der Zeit, die mir bekannt ist: Ihr wart ein phantastisches Paar, lustig, harmonisch. Die Geburt eurer Kinder hat euch in eine Euphorie versetzt, die ich so bei anderen Eltern selten gesehen habe. Alles war ein Fest. Euer Alltag ebenso wie eure Reisen. Bei so viel Glück musste neben euch jeder vor Neid erblassen. Ihr hättet Hass und Eifersucht auf euch ziehen können. Aber das Schlimmste war, dass ihr eure Umgebung in dieses Glück mit einbezogen habt. Mit euch die Ferien zu verbringen, was mein Sohn und ich einmal taten, als du gerade dein zweites Kind bekommen hattest, war die reinste Frischzellenkur. Ihr habt tausend Sachen gemeinsam unternommen, immer etwas anderes. Zirkusschule, Tanzen, Bildhauerei … Man hatte den Eindruck, ihr würdet euer Familienleben genießen und trotzdem als Paar voll und ganz auf eure Kosten kommen. Du kannst mir nicht erzählen, dass du diesem Mann nicht sagen willst, was mit dir los ist. Ich habe gesehen, wie du ihn liebst. Weißt du, dass du ihn liebst?«
»Nein, nicht wirklich … Ich sehe ihn an, ich finde ihn schön und toll, aber ich sehe ihn aus der Distanz. Ich kannes nicht fühlen. Es ist merkwürdig, ich habe fast ein schlechtes Gewissen.«
»Warum gehst du nicht zu einem … ich weiß auch nicht …«
Ich lache. »Zu einem Arzt? Einem Psychologen? Einem Hirnspezialisten? Einem Seelenklempner? Daran habe ich auch schon gedacht, weißt du. Ich bin mir noch nicht ganz im Klaren, welcher der richtige wäre, aber ich muss es herausfinden.«
Auch sie lacht. »Vielleicht ein Priester oder ein …«
»Guru?«, falle ich ihr ins Wort.
Wir prusten los. Es tut gut, gemeinsam zu lachen. Wie früher, wie vor gar nicht allzu langer Zeit! Sie strahlt mich an. Aus unterschiedlichen Gründen sind wir glücklich, uns wiederzuhaben.
»Kennst du jemanden in meiner Umgebung, der mir helfen könnte? Habe ich vielleicht einen Freund, der …?«
»Der Patenonkel von Lola. Ich glaube, er forscht über das Unbewusste. Muss so eine Art Psychiater sein. Ich kenne ihn nur sehr flüchtig, habe ihn zwei oder drei Mal bei euch gesehen. Er war auch dabei, als wir uns das letzte Mal zum Boulespielen bei euch getroffen haben. Das lädt nicht unbedingt zu tiefschürfenden Gesprächen ein, aber er schien ein guter Typ zu sein. Jedenfalls ist er ein Freund von Pablo. Du mochtest ihn immer sehr, es war dein Wunsch, dass er der Patenonkel deiner Tochter wird.«
»Catherine, erzähl mir doch bitte noch ein paar Sachen, die du von mir weißt, beschreib mir die verlorenen Jahre, bitte! Warst du auf meiner Hochzeit?«
»Ja, natürlich, aber was du da von mir verlangst, ist verrückt.«
»Verrückt, völlig subjektiv, aber ich habe keine andere Wahl. Schlimmer als dieser Zustand totaler Amnesie kann es nicht werden.«
Zoé wacht im Taxi nach Hause wieder auf. Es regnet. An mich geschmiegt sieht sie zu, wie die Tropfen die Scheibe herunterrinnen. Ich drücke meine Nase an ihren Kopf, sie duftet nach süßer Butter, nach Kuchen. Auf dem Heimweg mache ich Halt bei einem großen Supermarkt, der frei Haus
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