Die Liebe der anderen
mich länger verzaubern konnte als alle anderen, doch irgendetwas, das ich nicht bestimmen kann, passt nicht in unsere Idylle. Etwas an ihm verstört mich und scheint auch ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, obwohl er es vielleicht nicht einmal merkt. Als würdeer spüren, was in meinem Kopf vor sich geht, kommt er zu mir und schließt mich in die Arme.
»Marie, was du für uns getan hast, ist so wunderschön … Meine Liebste …«
Ich möchte, dass er weitermacht. Aber mittlerweile wird alles zwischen den Wörtern gesagt, fast zwischen den Umarmungen. Deshalb bin ich vorsichtig.
»Als wir heute Morgen dieses Spiel spielten, sagtest du, ich hätte mich verändert.«
Auf einmal scheint er sich verteidigen zu wollen.
»Du hast nicht mehr diese Unbeschwertheit, die ich so an dir mochte. Und sicher habe ich darauf mit Vorwürfen reagiert. Es ist noch nicht lange her, da konnten wir nicht so miteinander reden. Du hättest mir empört geantwortet, dass bei mir jeder Dialog scheinheilig sei, weil ich nur als Sieger daraus hervorgehen wolle. Erinnere dich, du hast mir gesagt, ich würde einem Gespräch zwischen zwei Figuren in meinen Filmen aufmerksamer zuhören als unseren eigenen. Bestimmt hattest du nicht unrecht … Ich weiß nicht, wie du das gemacht hast, Marie, ganz offenbar gelingt es dir besser als mir, das Leben neu zu erfinden. Jedenfalls liebe ich die Frau, die du jetzt bist. Sie rührt mich, erinnert mich an frühere Zeiten. Was du gerade schaffst, davon träumen wir alle … Der Film unseres Lebens! Die richtigen Worte im richtigen Moment sagen, die gefühllosen Dialoge und die Nichtigkeiten des Alltags vermeiden, aus kleinen Momenten etwas Erhabens und Großes zaubern. Das ist eine große Stärke …« Er macht eine Pause, bevor er hinzufügt: »Die dir von einem Tag auf den anderen, durch ich weiß nicht welches Wunder, zugewachsen ist.«
Ich bin durcheinander. Ein wichtiges Element, das ich von Anfang an vernachlässigt habe, kommt mir in den Sinn. Ich bin immer davon ausgegangen, ich hätte mein Gedächtnis aufgrund eines traumatischen Ereignisses verloren. Ich dachte an eine Beziehungskrise und habe mich auf Pablo fixiert.Aber alles, was ich im Laufe der Tage entdecke, spricht dafür, dass ich mir einen wunderbaren Mann ausgesucht habe. Deshalb wird nun ein schrecklicher Zweifel in mir wach: Wenn nun ich der Hauptgrund bin, ich ganz allein? Die Frau, die ich geworden bin, die sich verändert hat, die es verlernt hat, zu leben und zu lieben? Eine Unbekannte, die ich loswerden wollte und die ich nur vernichten konnte, indem ich sie aus meinem Gedächtnis tilgte, sie und ihre jahrelangen Verirrungen. Ich spüre Schmerz und Scham.
Ich stelle Pablo die Frage: »Hattest du den Wunsch, mich zu verlassen, in Situationen, in denen unser Leben, sagen wir, schwieriger war?«
Er sieht mich mit grenzenloser Zärtlichkeit an. »Marie, ich möchte nicht über diese Dinge reden, es ist noch zu frisch. Was passiert ist, können wir nicht ungeschehen machen. Obwohl … Deine Vorstellung heute Morgen hat das Gegenteil bewiesen. Ich möchte uns so sehen, wie wir jetzt sind. Ich bewegte mich in einer Spirale, die ein furchtbares Ende hatte. Ich habe keine Lust, kurzen Prozess zu machen und einen Schuldigen zu suchen. Ich möchte dich nicht verurteilen, und ich möchte umgekehrt nicht verurteilt werden.«
Ich weiß, manchmal ist es nützlich, die Vergangenheit zu kennen, um die Gegenwart und die Zukunft entspannt erleben zu können, aber auch ich bin mir nicht mehr so sicher, ob ich alles über diese Vergangenheit wissen möchte, die für mich ein noch größeres Geheimnis darstellt als für Pablo.
II
Und wenn ich mein Vergessen einfach vergesse und mich damit begnüge zu leben?
»Marie, meinen Sie das ernst? Wie lange würden Sie das denn aushalten?«
Ich beantworte Raphaëls Frage mit einem Lachen. »Eine Stunde, vielleicht zwei …«
Gerade habe ich dem Mann, der versprochen hat, mir zu helfen, die vergangenen Tage geschildert. Er hörte sehr aufmerksam zu, hat meine Ausführungen kein einziges Mal unterbrochen. Er hat sich ein paar Notizen in ein großes schwarzes Heft gemacht. Ich habe ihm die Entdeckung der letzten Tage anvertraut, die für mich am schwierigsten zu akzeptieren war: dass ich eine Xanthippe geworden sein könnte.
»Antworten Sie schnell und ohne nachzudenken«, sagt Raphaël. »Glauben Sie, eine Frau, die eine strahlende Liebe lebt, kann zu der abstoßenden Person werden, die Sie mir
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