Die Liebe der anderen
plagt mich. Es erfüllt mich mit einem Kinderwunsch, den ich so nie hatte.
Vermutlich durchlebte ich die Phase, in der man als Frau im Kopf schwanger ist, bevor man wirklich ein Baby erwartet, in den vier Jahren mit Pablo. Kein solches Gefühl mehr zu empfinden und meinen Kindern als Mutter fremd zu sein, durchbohrt mir das Herz mit dem Schmerz der Schuld.
»Marie! Marie!«
Ein junger Mann um die Dreißig betritt das
Imprévu
. Er umarmt mich herzlich, um nicht zu sagen überschwänglich. Ich beschließe, ihn erst einmal reden zu lassen.
»Man sieht dich ja gar nicht mehr! Du arbeitest zu viel … Oder warst du im Urlaub?« Er hält inne, lächelt und setzt noch einmal vorsichtiger an: »Oder …« Er zögert. »Deine letzte Improvisation hat dich wohl richtig traumatisiert.«
Ich lache, um Zeit zu gewinnen. »Was genau meinst du mit Improvisation?«
»Na ja, ich glaube, das letzte Mal warst du doch zum Abschluss des Improvisations-Workshops da, oder? Denn seitdem habe ich alle Kurse besucht, und du warst nie dabei. Weißt du, wir haben neulich noch mit Lucas drüber geredet, und er sagt, es käme zwar selten vor, aber manchmal könnte so ein Experiment auf der Bühne einen Schauspieler derart durcheinanderbringen, dass er deshalb ein Theaterstück sausen lässt.«
Ich stelle mich also auf die Bühne und improvisiere. Darauf hätte ich auch selbst schon kommen können, schließlich mache ich seit drei Wochen nichts anderes. Da ich meines Wissens keine berufsmäßige Schauspielerin bin, muss es also ein purer Zeitvertreib sein. Trotzdem komisch, dass Pablo gar nichts über mein Hobby gesagt hat, das ja früher seinBeruf war. Ich muss etwas antworten. Der junge Mann wartet. Ich ziehe mein gewohntes Lügengebilde aus der Tasche.
»Ich hatte ziemlich an meiner Entlassung zu knabbern. Ja, ich habe aufgehört zu arbeiten. Und dann hatte ich noch eine Menge anderer Probleme, wie das in einer Großfamilie eben so ist.« Mittlerweile rede ich mit erstaunlicher Selbstsicherheit darüber. Ich sei auf einer Reise in ein unbekanntes Land gewesen! Das Land des Vergessens – aber so genau erläutere ich es dann doch nicht. »Ich glaube, jetzt bin ich so weit, dass ich wiederkommen kann.« Das ist leicht gesagt, aber gut …
Er unterbricht meine langwierigen Erklärungen. »Komm doch mit mir ins Offene Atelier. Ich muss vorher nur noch mal kurz nach Hause, ein paar Sachen holen und ins Netz, meine Mails checken.« Wovon spricht er? Was für ein Netz? Mails? »In einer Viertelstunde bin ich wieder da, und wir machen uns auf den Weg.«
Ich nicke. Wenn ich eine Chance haben will, die Kurse, von denen er sprach, wieder zu besuchen, dann sollte ich die Gelegenheit beim Schopf packen. Ich nutze sein Fortsein, um der Tagesmutter und Pablo Bescheid zu sagen, indem ich ein Abendessen mit meiner Mutter erfinde, die ich ebenfalls ins Bild setze, damit sie mir keinen Bock schießt.
Sie ist beunruhigt: »Du machst doch keine Dummheiten, oder? Na ja, gerade ich muss das sagen …« Ich beruhige sie, ich sei nur mit einer Freundin verabredet, die Pablo nicht ausstehen kann.
Im Lügen werde ich wirklich immer besser, und diese Spirale gefällt mir nur zur Hälfte, aber was soll ich machen, wenn ich in allem anderen ohnehin lüge? Und meine größte Lüge ist immer noch, dass ich in der Haut einer anderen lebe.
Ich schlage meinen Kalender auf und sehe mir die mit einem T markierten Tage an. T für Theater also, gar nicht so mysteriös, wie ich dachte, jeden Donnerstagabend um halb acht. Auf dem Weg dorthin frage ich den jungen Mann aus,dessen Namen ich immer noch nicht kenne. »Was passiert da donnerstagsabends im Theater?«
Er wirkt nicht überrascht. »Jetzt wo der Workshop im Improvisieren zu Ende ist, hat das Offene Atelier wieder begonnen. Und dienstags gibt es zur Zeit, glaube ich, einen neuen Kurs im Regiefach. Hast du dir inzwischen mal Gedanken gemacht, welche Szene wir zusammen einüben könnten?«
In den vergangenen drei Wochen habe ich gelernt, es unter den Teppich zu kehren, wenn ich keine Antwort weiß. Ich lache, wie so oft, und inzwischen gelingt mir diese Parade völlig unbefangen. Außerdem tut lachen ja gut. Es hilft mir, mit der Panik umzugehen und auch das Komische an einer Situation zu sehen.
»Ich habe darauf gewartet, dass du mir etwas vorschlägst.«
Beim Plaudern sind wir in die Metro gestiegen und haben zweimal die Linie gewechselt. Plötzlich stelle ich fest, dass wir fast zu uns nach Hause fahren, und
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