Die Liebe der anderen
erzählen, den Abend vor deinem … Vergessen. Dann verstehst du besser, warum dein Verhalten, so merkwürdig es auch gewesen sein mag, mich nicht stutzig machte. Wir hatten eine Abmachung getroffen.«
Schon wieder die Geschichte mit der Abmachung! Diesmal lasse ich ihn reden. Pablo hebt die Brauen und lächelt mich traurig an.
»Gestern Abend, nachdem du mich eingeweiht hattest, war mir die Situation, in der ich meinen Bruder mit dir überraschte, wieder völlig präsent. Ich riss dich von ihm los und ging mit dir nach draußen. Ich wusste nicht, wohin. Ich zog dich einfach hinter mir her. Ich wollte nicht, dass die anderen mitbekamen, in welchem Zustand du warst. Du sagtest, zwischen uns sei es aus, ich solle mit dieser Frau abhauen. Wir gingen in Richtung Seine, stiegen zu den Kais hinunter. Ich weiß nicht mehr genau, was ich sagte, ich versuchte, dir zu erklären, dass ich dich liebe. Was du am Flughafen beobachtet hattest, war ein Abschied. Ich wollte sie nicht wiedersehen. Natürlich wusste ich nichts von dem Brief, den sie dir geschickt hatte und der mir nach wie vor ein Rätsel ist. Ich hatte einen Schreibblock dabei. Ich schlug dir vor, dass wir unsere Fehler, unsere Wut aufschreiben und sie Blatt für Blatt in die Seine werfen sollten. Mit der Zeit würden wir vergessen. Ich hatte gerade den Teil meines Film fertig geschnitten, in dem alles unwiderruflich ist: die entgleiste Liebe, der Augenblick, der sie für immer tötet. Wahrheit oder Erfindung, er wurde zur Fiktion meines Lebens. Ich hielt mich schon für verrückt. Wir begannen aufzuschreiben, was wir uns gegenseitig vorhielten. Dann warfen wir die bekritzelten Seiten, ohne sie zu lesen, in die Seine, undsahen zu, wie sie dahintrieben und schließlich im schwarzen Wasser versanken. Du warfst die Worte und Sätze hastig aufs Papier. Auch ich schrieb und schrieb, und irgendwann verwechselte ich, was ich wegwerfen und was ich behalten wollte. Wir versprachen einander das Glück, einfach nur das Glück. Wir redeten über uns, wie wir früher waren, über das, was uns so abgleiten lassen konnte, wie und warum. Wir gingen zu Fuß nach Hause. Wie zwei Automaten marschierten wir bis zum Montmartre. Für mich war nur eins wichtig: dass ich dich liebte und dass du mir das glaubtest. Aber ich hatte das Gefühl, als wärst du schon fort. Mir war plötzlich völlig schleierhaft, wie ich auf die Idee kommen konnte, dir zu entfliehen, dich zu ersetzen. Ich begriff, dass diese andere auch du warst. Die Dinge, die du früher sagtest, unser Lachen, als wir uns noch nicht aus den Augen verloren hatten. Um vier Uhr morgens kamen wir zu Hause an. Die restliche Nacht verbrachten wir damit, uns leidenschaftlich zu lieben. Du warst betrunken, aber absolut sinnlich und betörend. Als am nächsten Morgen der Wecker klingelte, schlich ich mich davon wie ein Dieb. Ich ließ dich die Kinder wegbringen und flüchtete mich in meinen Schnittraum. Deine Ekstase hatte mich völlig aus der Bahn geworfen. Und ich fürchtete, dich am Abend wach und nüchtern wiederzusehen, fest entschlossen zu gehen, oder vielleicht auch schon fort. Kannst du dir vorstellen, wie verblüfft ich war, als ich eine andere Frau vorfand? Der Abend zuvor schien wie weggepustet. Sicher, so lautete ja unsere Abmachung, ein verrückter Schwur, den wir in jener Nacht leisteten, als wir unsere Zettel und unsere Wut in die Seine warfen. Aber wie kann man das so schnell umsetzen? Du warst entspannt, schön, fröhlich. Es war wunderbar. Ich entdeckte dich neu. Du warst so witzig, wirklich wie ausgewechselt. Und trotzdem immer noch die, die ich liebte. Meine Untreue erschien mir idiotischer denn je. Ich fand sie nur noch banal. Ich nahm keinen Anruf dieser Frau mehr an. Ich wollte denZauber nicht brechen. Mit ihr zu sprechen hätte geheißen, dir wieder den Rücken zu kehren und dich endgültig zu verlieren. Mir spukten das schwarze Wasser, die mit Grausamkeiten gefüllten verstreuten Zettel im Kopf herum, und du, Marie, warst wie abwesend.«
Eine Frage treibt mich um: Kannte ich sie? Ich habe sie nicht gestellt, aber er beantwortet sie trotzdem.
»Ich wüsste nicht, wann ihr euch begegnet sein solltet. Ich habe sie im Ausland kennengelernt.«
Ein verrückter Morgen. Ich setze einen Kaffee auf und werfe einen Blick in den Garten. Es ist windig, sehr windig. Die Wolken rasen über den Himmel. Vielleicht zieht ein Gewitter auf. Es ist zugleich düster und hell … Man könnte meinen, ein Himmel voller Erklärungen,
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