Die Liebe der anderen
Ich wusste überhaupt nichts über das Leben, weder über die Menschen noch über ihre Grausamkeit. Ich war eine junge Mutter, die an die Schönheit der Liebe und der Lebensfreude glaubte. Ich war ein armseliges, naives dummes Huhn. Mir wird sofort schlecht. Ich kann nichts mehr tun. Ich bin zu Hause, wie lange ist es noch mein Zuhause? Ich greife nach dem Telefon und melde mich im Büro ab. Ich biete der Katastrophe die Stirn. Mein Bauch glüht. Er ist hart wie eine Marmortafel. Das Grab ist schon bereit. Eine Stunde später beginne ich zu bluten. Ich rufe Dominique an. Sie bestellt mich zu sich. Ein furchtbares Erlebnis, diese Begegnung mit dem Tod. Ich habe das Gefühl zu ersticken. Ich kann nicht einmal mehr mit ihr sprechen. Sie will, dass ich Pablo anrufe. Was soll ich ihm sagen? Dass wir fast ein Kind der Liebe bekommen hätten, einer Liebe, die ich noch für lebendig hielt? Aber alles ist tot, nur ich nicht, ich habe überlebt. Ich halte durch, bekämpfe die Lust, mich einfach hinübergleiten zu lassen. Nicht einen Moment lang meine ich, ihm den Brief zeigen zu müssen (Ich weiß nicht mal mehr, was ich damit gemacht habe). Warum sollte ich ihm alles sagen, was ich weiß? So weit ist es mit uns gekommen. Aber warum vertraue ich mich diesem Heft an? Das nützt niemandem. Nicht einmal mir! Das Schweigen senkt sich auf mein Leben wie ein Mantel des Todes.
Draußen kann ich durchatmen. Jeanne hat mir Kuchen und einen Rest Auflauf gebracht. Ich kriege nichts runter. Sie ahnt, dass es mir schlechtgeht. René hat mich in Avignon abgeholt. Während der Autofahrt habe ich mich schlafend gestellt. Sie spüren das Unheil, stellen aber keine Fragen. Hier auf dem Land hat man noch ein Gespür für andere. Meine Großmutter hatte es. Warum habe ich es nicht? Pablo, Hilfe, ich fühle mich so allein ohne dich, und ichweiß nicht, wo ich dich erreichen soll. In meinem Wahn telefoniere ich dem Mann, der mich verraten hat, endlos hinterher … Warum bin ich diejenige, die so teuer dafür bezahlen muss? Warum entsteht ein Kind, wenn es gleich wieder verschwindet? Wenn alles einen Sinn hat … welchen denn bloß? Ich sehe mich um, als wollte ich diesen Gedanken irgendwo als Rettungsanker aufhängen. Schließlich sinke ich widerwillig in den Schlaf, als hätte ich Angst, nicht wieder aufzuwachen. Leiden passt nicht zu mir. Ich hasse es von ganzem Herzen. Es raubt einem die Würde.
Pablo hatte mir eine Nachricht hinterlassen. Er musste vier Tage fort und wollte wissen, ob ich vor ihm zurückkäme. Ich habe ihn nicht zurückgerufen und mich damit begnügt, unser Kindermädchen zu informieren, doch er bestand darauf, direkt mit mir zu reden. Sollte ich die Hassgefühle verschweigen, die mich überwältigten? Ich sah meine Rivalin vor mir. In meinen Träumen, die nur noch Alpträume waren, hörte ich sie lachen. Ich sah sie mit Pablo, und ich schlug wild um mich. Sie hatte kein Gesicht. Wie sollte ich ihr eins geben? Ich sah die widerwärtigsten Szenen: albernes Gekicher zwischen ihnen, Vertrautheit, all das, was ich nicht mehr hatte. Meine Verbitterung und meine Wut wurden immer größer. Ich wurde die, vor der ich mein Leben lang geflohen war. Diese gebrochene, von unbändigem Hass über einen geraubten Besitz erfüllte Frau war das, was ich immer abgelehnt hatte. Lasst mich in Ruhe, ihr hysterischen Gedanken, lasst mich würdevoll in meinem Leid versinken. Lasst mir die Zeit, mich ohne Rachegelüste wieder zu sammeln. Lasst mich den Rest meines Lebens eingehüllt in meine verlorene Liebe verbringen, dass sie mir ein Panzer sei auf meinem weiteren Weg.
Trotzdem möchte ich es wissen. Ich würde sie gern sehen, um eine Antwort auf die aufreibenden Fragen zu bekommen, mit denen sich weder ihr noch mein Verhalten entschuldigen lässt. Ich möchte verstehen, obwohl ich sicher bin, dass amEnde nur Unverständnis bleibt. Wäre ich überhaupt in der Lage, zu verstehen? Ich weiß ja nicht mal, wie ich mit Pablo reden soll. Schon am Telefon wusste ich nicht, was ich sagen sollte, ich habe auf eine Erklärung gewartet, aber es kam nichts. Wir haben uns nur für die Abschiedsfeier verabredet, die Pierre für mich gibt. Eigentlich war es als Überraschung gedacht, aber meine Assistentin ist voll ins Fettnäpfchen getreten, als sie mich nach der Adresse des Restaurants fragte, in dem ich damals meinen Einstieg feierte und Pablo kennenlernte. Was für eine Ironie des Schicksals!
Meine Mutter möchte, dass ich Jean und sie zum Flughafen
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