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Die Liebe der anderen

Die Liebe der anderen

Titel: Die Liebe der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederique Deghelt
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glücklich. Er ahnt nicht, wie grausam mir sein Wunsch in den Ohren dröhnt.

    Am Tag vor seiner Abreise sagt Pablo, wenn er mir weiter unser ganzes Leben erzählte, würden seine Erinnerungen irgendwann die meinen.
    »Du wirst meine Ansicht über unsere gemeinsamen Jahre teilen.«
    Ich lache, obwohl ich nicht einverstanden bin. Wenn ich nachrechne, stelle ich fest, dass ich mich an mehr Jahre erinnere, als ich vergessen habe. Doch die verschwundenen Jahre wiegen doppelt schwer. Vor allem wenn sie mir erzählt werden wie ein Abenteuer, das nicht meins zu sein scheint.
    Die drei Tage, in denen ich mit Pablo meine Vergangenheit ausgegraben habe, waren anstrengender als die Wochen, in denen ich mich in meinem Abgrund ohne Gedächtnis allein abstrampeln musste. Ich verstehe, dass er das Bedürfnis hat, sich einiges klarzumachen, aber seine Woche in der Einsamkeit macht mir Angst. Ich habe Angst, ihn zu verlieren, Angst, mich in diesem neuen alten Leben allein wiederzufinden, in dem ich am Tag unseres Kennenlernens ausgesetzt wurde. Ich habe Angst, unser Leben mit den Kindern aufgeben zu müssen, das ich mir so mühsam erobert habe. Und ist diese Angst nicht der Beweis, dass es in meinem Geist ohne Erinnerungen noch Spuren unseres gemeinsamen Glücks gibt?
    Aber Pablo ist immer noch ein Unbekannter für mich. Er hat zwölf Jahre Vorsprung in unserer Liebe, ich neun Wochen im Umgang mit meinem Vergessen … Wo sollen wir uns treffen? Wenn man nicht mehr weiß, was die Zeit ist, wird auch die Wahrnehmung des Raumes eine andere. Erzählen, sich erinnern, in die gemeinsame Geschichte reisen … All das sind verbotene Bereiche für mich. Manchmal bin ich sogar eifersüchtig auf die andere Marie, von der er mit so viel Liebe und Zuneigung spricht. Was ich nicht erinnere, gehört der anderen … Als ich vor neun Wochen zu leben begann, ist sie in mir gestorben. Ich höre Pablo von unserer Vergangenheit erzählen, es ist eine Art Trauerarbeit, denn er erweckt eine Frau wieder zum Leben, die ich verscharren wollte, um anschließend ihre Todesursache zuerforschen. Vielleicht stört ihn diese ungerechte Wahrnehmung. Alleine nachdenken heißt, Abstand nehmen von der Frau, die
wieder
die seine ist, nicht
immer noch

    Ich dachte, es sei einfach, Pablo alles zu sagen, wenn ich das Heft gefunden hätte, und nun fürchte ich mich davor, der anderen das Leben wiederzugeben, das ich ihr nicht nehmen wollte. Kann es sein, dass die Erinnerungen meines Mannes mit ihr stärker sind als unser Leben ohne dieselben? Sie ist mein Double und meine Rivalin, und ich verdanke ihr die Liebe, die ich durch ihren Verzicht wiedergefunden habe … Ich habe große Angst, nicht mehr zu wissen, wer ich bin. Aber eines fühle ich: Nun heißt es sie oder ich!
    Am Morgen verabschieden wir uns von den Kindern. Sie sind fröhlich und machen sich mehr Gedanken über ihre Karussellfahrt mit Babuschka als über die Abwesenheit ihrer Eltern. Beim Abschied habe ich Pablo kaum in die Augen geschaut. Der Zug ist ein Schlund der Müdigkeit, der mich einsaugt, damit ich vergesse, dass ich fortfahre.
    Unsere Wohnung in Paris erscheint mir schrecklich leer, Panik erfasst mich. Ich habe diese Familie so schnell angenommen, dass ich ohne sie nichts mehr mit mir anzufangen weiß, dabei sollte ich das, denn bis vor kurzem war ich schließlich noch allein. Ich habe gelernt, meine beiden Leben ineinanderzufügen, und mittlerweile bekämpfen sie sich, wenn sie sich Pablo teilen müssen. Ich bin zugleich die Mutter dreier Kinder, die seit zwölf Jahren in ihren Mann verliebt ist, und eine ahnungslose Singlefrau, die alles erst entdeckt.
    Ich habe Pablo mein Heft anvertraut. Die ausgerissenen Seiten habe ich auch hineingelegt. Was will er bloß damit? Ich stehe vor einem ganzen Berg von Zweifeln. Ich weiß nicht, ob er wieder Kontakt zu meiner Rivalin aufnehmen wird. Wird er sie zur Rede stellen wegen des Briefes, den ich von ihr bekommen habe? Ich verjage diese Gedanken.Das geht mich nichts an. Wie er mit dieser Angelegenheit umgeht, ist seine Sache. Ich muss Vertrauen haben.
    Nun bin ich Single und kinderlos, so, wie ich es zu sein glaubte, als ich eines Morgens vor nicht allzu langer Zeit erwachte. Fast Single. Ich warte auf die Entscheidung eines Mannes, der unsere Beziehung entweder fortsetzen oder hier beenden wird. Ich weigere mich, darüber nachzudenken. Ich laufe barfuß über das Parkett, trinke Rosé, knabbere Cashewnüsse. Es ist vier Uhr nachmittags. Na und? Ich höre

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